Französische Hölle

Das reicht nicht für das Para­dies. Du mußt in die Hölle. Aber dir bleibt die Wahl zwi­schen deut­scher Hölle und fran­zö­si­scher.

Na gut. Wie sieht's denn in der deut­schen Hölle aus?

In der deut­schen Hölle gibt es sie­den­des Öl, glü­hende Kohle, ros­tige Nägel unter die Zehen­nä­gel, Zan­gen, Dau­men­schrau­ben.

Und was gibt es in der fran­zö­si­schen?

In der fran­zö­si­schen Hölle gibt es sie­den­des Öl, glü­hende Kohle, ros­tige Nägel unter die Zehen­nä­gel, Zan­gen, Dau­men­schrau­ben.

Das ist ja das Glei­che!

Im Prin­zip schon, ich würde dir aber die fran­zö­si­sche emp­feh­len.

Wieso das, was ist der Unter­schied?

In der fran­zö­si­schen Hölle gibt es mal kein Öl, mal keine Nägel. Und die Zan­gen funk­tio­nie­ren auch nicht immer. Manch­mal streikt das Per­so­nal.

So ähn­lich geht der Lieb­lings­witz mei­ner Frau.

Im Kino von La-Salle-les-Alpes. La-Salle-les-Alpes liegt in den fran­zö­si­schen Alpen, ist Teil des Ski­ge­biets von Serre Che­va­lier ober­halb von Bri­ançon. Tiefs­tes Frank­reich. Die gut neun­hun­dert stän­di­gen Ein­woh­ner von La-Salle-les-Alpes leben vom Tou­ris­mus, vor allem Ski-Tou­ris­mus. Gegen­über des Centre com­mer­cial das Kino, "Le Con­corde", ein zweck­mä­ßi­ger Bau aus den Sech­zi­ger Jah­ren. Jeden Tag andere Filme. Zwei Säle, zwei Vor­stel­lun­gen, eine um 18 Uhr, die zweite um 21 Uhr. Vier ver­schie­dene, halb­wegs aktu­elle Filme, ein rich­ti­ges Pro­gramm! Bei Schnee­fall eine wei­tere Vor­stel­lung um 14:30 Uhr. Wahr­schein­lich wird das Kino mas­siv sub­ven­tio­niert.

Vor­ges­tern, Mon­tag, haben wir "La nuit au musée 3" gese­hen. Er müßte uns dar­auf hin­wei­sen, daß die Hei­zung nicht funk­tio­nie­ren würde, sagte der junge Mann an der Kasse. Die aktu­elle Raum­tem­pe­ra­tur, ergänzte er unge­fragt, läge bei zehn Grad. Dafür gebe es alle Plätze zum Kin­der­ta­rif von 4,50 Euro.

Ges­tern woll­ten wir "Pad­ding­ton" in der Früh­vor­stel­lung um 18 Uhr sehen. Der glei­che junge Mann wies uns wie­der dar­auf hin, daß die Hei­zung nicht funk­tio­nie­ren würde. Die aktu­elle Raum­tem­pe­ra­tur prä­zi­sierte er – auf Nach­frage – mit "etwa zehn Grad". Die Plätze gab es zum Ein­heits­ta­rif von nur noch 3,50 Euro. Zehn Grad kann man ein­ein­halb Stun­den aus­hal­ten. Immer­hin ist es wind­still im Kino.

Um 18:30 Uhr bit­tet der junge Mann den halb gefüll­ten Saal um Auf­merk­sam­keit. "Pad­ding­ton" könne er aus "ver­mut­lich" tech­ni­schen Grün­den nicht star­ten, weder in die­sem Saal noch im ande­ren. Er würde uns alter­na­tiv einen Zei­chen­trick­film anbie­ten – "Les Nou­veaux Héros". Oder den Ein­tritts­preis zurück­er­stat­ten. Bei die­sen Wor­ten beginnt sich der Saal zu lee­ren. Wir blei­ben. Eine wei­tere Vier­tel­stunde spä­ter, kurz vor dem Ende des Vor­films ent­steht Tumult im Ein­gangs­be­reich hin­ten. Flu­chende Väter, zischende Müt­ter, quen­gelnde Kin­der. Offen­bar war auch die Rück­erstat­tung der Ein­tritts­kar­ten wegen "ver­mut­lich" tech­ni­scher Hin­der­nisse nur teil­weise erfolg­reich.

Fran­zö­si­sche Hölle.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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Geburtshilfe

Der Klas­si­ker zur Dienstüber­gabe der Heb­am­men. Die ganze Nacht kein ein­zi­ger Hil­fe­ruf an den dienst­ha­ben­den Anäs­the­sis­ten und kaum ist Phil­ippe da, Phil­ippe die Heb­amme, über­ge­wich­ti­ger Gesichts­haar­trä­ger, geht es nicht mehr ohne mich. 7:12 Uhr. Eine Zweit­ge­bä­rende bei drei Zen­ti­me­tern. Hat sie denn Schmer­zen? Ben, oui, sie hat schon etwas Schmer­zen. Ich muß mich aus dem Bett in mein Grün­zeug quä­len, Zähne put­zen. Wir tei­len unsere Toi­lette, ein Wasch­be­cken und eine gam­me­lige Dusch­ka­bine mit den Inten­siv­me­di­zi­nern. Ein­mal über den Flur. Wenn man Pech hat, putzt sich der Inten­siv­dok­tor gerade die Zähne. Keine zehn Minu­ten spä­ter eine Nach­richt auf mei­nem Handy. Von 7:24 Uhr. Ève, die Heb­amme, noch übrig aus der Nacht­schicht. Nicht mehr nötig, sagt sie. Die Frau hat ent­bun­den. Aha. Geburts­hilfe vom Feins­ten.

Schlim­mer aber noch der Anruf um 2:32 Uhr. Wie ein Eimer Eis­was­ser im Tief­schlaf. Letz­ten Sonn­tag. Von Sébas­tien, der Heb­amme. Kein Gesichts­haar. Elsäs­ser. Besucht manch­mal sei­nen Groß­va­ter in Ulm. Und bringt mir Scho­ko­lade von Rit­ter Sport mit. Gibt's hier nur bei Déc­a­th­lon. Péri­du­rale für eine Steiß­lage. Das kann ich ein­se­hen. Ent­bin­dung aus Steiß­lage ist schö­ner mit Epi­du­ral­ka­the­ter. Da kann immer was schief­ge­hen. Und Schmer­zen hat sie auch.

3:43 Uhr schon wie­der Sébas­tien. Wie­der Eis­was­ser! Rhyth­mus­ano­ma­lien beim Kind in Steiß­lage, Kai­ser­schnitt. Samir aus Syrien ist der Gynä­ko­loge. Nichts gegen Aus­län­der. Bin selbst einer. Samir aus Syrien macht immer – na ja, oft – zu kurze Kai­ser­schnitte. Zu kurz in der Bauch­de­cke, zur kurz in der Gebär­mut­ter. Braucht dann Vakuum oder Zan­gen, um die Klei­nen aus dem Bauch zu zer­ren. Kos­tet immer ein paar APGAR-Punkte. Sachich­noch: Mach' Dei­nen Schnitt groß genug! Wenigs­tens dies­mal! Keine Aben­teuer mit­ten in der Nacht! Bitte! Denk' an meine Herz­kranz­ge­fäße! Wer aber hört schon auf das alt­kluge Geschwätz des Anäs­the­sis­ten? Jaja, bien­sûr, aie con­fi­ance! Keine Angst! Und? Das Resul­tat? Klar, Schnitt zu klein. Reicht für Füße und Bauch. Nicht mehr für das Köpf­chen und die Ärm­chen. Bei Steiß­lage kann man sich auch nicht hel­fen mit Vakuum oder Zan­gen. Statt­des­sen gro­ßes Metz­gern an der Bauch­de­cke und der Gebär­mut­ter. Das Kind ganz sprach­los. Ganz schlapp. Ganz blaß. Herz­fre­quenz bei etwa fünf­zig. APGAR 2 (in Wor­ten: zwei), würde ich sagen. Wo ist der Kin­der­arzt? Kein Päd­ia­ter! Kein Wun­der, t'as vu l'heure? Der muß ja auch erst­mal auf­ste­hen. Und dann noch her­fah­ren von Le Pra­det. Bis dahin ist das Kind tot. Oder der Anäs­the­sist ret­tet es. Und zahlt mit sei­nen Herz­kranz­ge­fä­ßen. Geburts­hilfe vom Feins­ten.

Samir sagt, die Frau wäre selbst schuld. C'est pas ma faute! Das ist doch nicht mein Feh­ler! Kaum hätte er in den Ute­rus geritzt, hätte der sich so rich­tig kon­tra­hiert. Aber sowas von kon­tra­hiert! Der Ute­rus. Kann ich was für den Ute­rus von der Frau? Sowas! Ein­fach kon­tra­hiert, der Ute­rus! Kann die Frau nicht ein biß­chen auf­pas­sen auf ihren Ute­rus? Genau um den Hals der Klei­nen! Aber ehr­lich!

Frage an die gynä­ko­lo­gi­sche Kol­le­gen­schaft: Ist das so über­ra­schend? Das mit dem Ver­hal­ten der Ute­rus­mus­ku­la­tur bei Schnitt­ent­bin­dung? Kann der Gynä­ko­loge das nicht anti­zi­pie­ren?

Ein paar Tage spä­ter wie­der Kai­ser­schnitt mit Samir, dem Gynä­ko­lo­gen aus Syrien. Frei­tag Abend im Pro­vinz­kran­ken­haus. Zweit­ge­bä­rende, Ter­min eigent­lich in zwei Wochen. 104 Kilo bei 158 Zen­ti­me­tern. Seit fünf Uhr nach­mit­tags im Kran­ken­haus. Bla­sen­sprung wohl. Was weiß ich. Geburts­ein­lei­tung eben. Bei der vagi­na­len Unter­su­chung fin­det Magali, die Heb­amme, so eine komi­sche Beule. Keine Ahnung, was das ist, sagt sie. Da muß der Samir mal mit dem Sono gucken. Indi­ka­tion zum Kai­ser­schnitt 18:32 Uhr. Warum? Steiß­lage! Magali braucht Samirs Sono, um eine Steiß­lage zu erken­nen! Wow! Hat Magali nicht Heb­amme gelernt? Außer­dem Rhyth­mus­stö­run­gen beim Kind. Aber das sagen sie immer, damit's ein biß­chen schnel­ler geht. Hop-hop-hop quasi. Und natür­lich so kurz vor dem Schicht­wech­sel sowieso. Schicht­wech­sel ist um 19:00 Uhr. Hop-hop-hop.

Lie­ber Samir, mach' bitte den Schnitt lang genug. Bitte! Denk' an meine Koro­na­rien! – Große Frau, große Narbe, fällt Samir dazu ein. – Nein, Samir, das meine ich nicht. Die Narbe auf dem Bauch ist mir scheiß­egal. Den Schnitt im Ute­rus meine ich. Der muß lang genug sein. Für den APGAR vom Baby. Und meine Koro­na­rien! – Okay, okay, sagt er. Aber es klingt wie ein Ado­les­zen­ten-Jaja. Schnitt kurz vor sie­ben. Samir hat sich zwei Heb­am­men an den Tisch geholt! Phil­ippe und Nacima. Zwei Heb­am­men in grün und ste­ril gewa­schen. Sonst gibt’s immer nur eine. Weil die Frau so dick ist, sagt Samir. Aha! Gro­ßer Schnitt im Bauch, gro­ßer Schnitt auch im Ute­rus. Danke, Samir! Aber was ist das denn? So ein Gewu­sel! Fin­ger, Zehen, Hände, Füße! Und soviele davon! Weiß man gar nicht, wo man anpa­cken soll! Jetzt muß Phil­ippe ran. Mit sei­nen star­ken Armen kann er das Loch mit dem Gewu­sel bes­ser auf­hal­ten als Nacima. So kann Samir wenigs­tens mal rein­grei­fen und umrüh­ren. Irgend­wann wird in dem gan­zen glit­schi­gen Gewu­sel schon was auf­tau­chen, was man rich­tig anpa­cken kann. Wahr­schein­lich wird Samir schon ein biß­chen panisch. Tun­nel­blick. Wenn das eine Hand ist, muß der Kopf da sein. Mehr rechts der Kopf also. Oder oben. Ist das eine Hand? Was ist rechts? Oben? Cha­dia! Cha­dia ist seine Kol­le­gin, aus dem Liba­non, die ihn immer wie­der ret­ten muß. Cha­dia! Wo ist Cha­dia? Samirs Pro­blem ist nicht der zu kleine Schnitt. Nicht nur. Samirs Pro­blem sind auch über­ra­schende ana­to­mi­sche Struk­tu­ren. Zehen, Fin­ger, Hände, Füße.

Am Ende gibt's dann immer­hin eine ordent­li­che Por­tion Nal­ador. Das stei­gert den Tonus der Ute­rus­mus­ku­laur (glaube ich) und sta­bi­li­siert die Psy­che hand­werk­lich mit­tel­mä­ßig begab­ter Gynä­ko­lo­gen. Außer­dem ver­mu­ten hand­werk­lich mit­tel­mä­ßig begabte Gynä­ko­lo­gen eine schleim­haut­pro­tek­tive Akti­vi­tät im Gastro­in­tes­ti­nal­trakt ihrer anäs­the­sio­lo­gi­schen Kol­le­gen. Wenn sie uns, in lich­ten Momen­ten, über­haupt als Kol­le­gen wahr­neh­men. Wenn sie über­haupt was ande­res als sich selbst wahr­zu­neh­men in der Lage sind.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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Harissa

3:06 Uhr die sage-femme. Petite primi deman­de­use d’une péri­du­rale. Bis dahin Voll­mond­nacht. Erst zu lange im Inter­net. ZEIT vor­wie­gend und SPIEGEL. Ich lese sogar Bei­träge wie "Frauen sind auch nur Män­ner". 57 Pro­zent der Män­ner gehen fremd. Zum Fremd­ge­hen gehö­ren meist auch Frauen. Logisch eigent­lich. Nur 47 Pro­zent geben es aber zu. Viel mehr aber wür­den mit dem Gedan­ken an einen Sei­ten­sprung spie­len. Fast alle eigent­lich. So wie Män­ner eben. Erzie­hung und soziale Kon­ven­tio­nen wür­den sie eher abhal­ten. Die Frauen eher abhal­ten als die Män­ner. Schreibt der SPIEGEL. Am Ende finde ich mich bei den Auto­nach­rich­ten bei Spie­gel. Häß­li­cher Protz-BMW mit fast sechs­hun­dert PS. Wenn ich bei den Auto­nach­rich­ten von SPIEGEL ONLINE ange­kom­men bin, weiß ich, daß ich reif bin fürs Bett. Auch wenn es erst neun Uhr abends ist.

Kurz noch über Mater­nité. Meine Péri­du­rale von kurz vor sie­ben Uhr abends bei acht Zen­ti­me­tern. Drei weib­li­che Heb­am­men, Céline, Cécile und noch eine, deren Name mir nicht ein­fällt. Irgend­was wie Harissa. Ist aber nicht Harissa. Die Frau hat ohne­hin über­haupt nicht nichts Schar­fes. Aber ich komme nicht auf den Namen. Bleibe an Harissa hän­gen. Maghre­bi­ni­scher Hin­ter­grund jeden­falls. Cécile hat ihre Lip­pen knall­rot gefärbt. Ist das gerade modern? Und sagt, sie müßte immer rülp­sen. Und zwar auf Berüh­rung am rech­ten Hand­ge­lenk. Aha. Streicht sich über das rechte Hand­ge­lenk und rülpst ein Rülp­ser­chen. Sehr inter­es­sant. Und gleich noch eins. Ist die Frau eines Gynä­ko­lo­gen, der bis vor einem Jahr bei uns war. Sie hat lange nicht gear­bei­tet wegen Fibro­my­al­gie. Sagte der Gatte damals. Bestä­tigt meine Vor­ur­teile gegen Leute mit Fibro­my­al­gie. Das ist eine Not­dia­gnose für Leute mit Knall. Drei Frauen also, es könnte schlim­mer gekom­men sein. Kein Phil­ippe, kein Jérôme. Auch nicht Marie oder Séverine.

Ab ins Bett. Noch was lesen. Ich habe "Kapu­zi­ner­gruft" von Joseph Roth ange­fan­gen. Gibt es für null Euro auf den kindle. Die Fort­set­zung zu "Radetz­ky­marsch". Schöne Spra­che, Anfang letz­tes Jahr­hun­dert. Öster­reich unter Franz Josef. Der Groß­va­ter ret­tet dem Kai­ser das Leben, wird dafür geadelt. Der Vater ange­se­he­ner Bezirks­haupt­meis­ter, der Sohn ver­sagt beim Mili­tär, obwohl der Groß­va­ter dem Kai­ser das Leben geret­tet hat, fällt in den frü­hen Tagen des ers­ten Welt­kriegs. Frauen spie­len nur gele­gent­lich eine Rolle. Schwa­che Gesund­heit, ster­ben früh.

Glas Rot­wein, Licht aus um halb elf. Das Glas Rot­wein soll gegen den Voll­mond im Kopf hel­fen. Voll­mond war vor­ges­tern. Manch­mal füh­len sich Nächte wie Voll­mond­nächte an. Im Dienst sowieso. Auch ohne wirk­li­chen Voll­mond.

Halb eins Voll­mond. Wach irgend­wie, aber ver­mut­lich sogar für ein Sudoku zu blöde im Kopf. Geschweige denn Joseph Roth. Wie Harissa wirk­lich heißt, fällt mir immer noch nicht ein. Wach irgend­wie, kei­nes wirk­li­chen Gedan­kens fähig. Som­n­o­lenz im Dun­keln. Mein Zweit­ge­bo­re­ner hatte ges­tern sei­nen neun­zehn­ten Geburts­tag. Hatte keine Wün­sche. Außer viel­leicht ein paar Hosen. Für seine Mut­ter ist ein Geburts­tag ohne Geschenke kein rich­ti­ger Geburts­tag. Ein paar Hosen also. Ein schö­ner Kugel­schrei­ber. Und ein Wecker. Super-Sonic oder so. Weil er noch immer nicht alleine aus dem Bett kommt. Na ja, ein­mal von zwan­zig viel­leicht. Jetzt hat er eine Maschine, mit der er das ganze Haus wach kriegt. Und die Nach­bar­schaft dazu ver­mut­lich. Er hat sich selbst einen Sta­pel Mathe­bü­cher von Ama­zon geschenkt. Übun­gen. Weil er so schlecht ist in Mathe. 6,7 im ers­ten Semes­ter. Und sich nicht hel­fen las­sen will. Zu stolz, zu cool. Ich kann ihm nicht hel­fen. Mathe war ich noch nie gut. Schon gar nicht auf die­sem Niveau. Und er will meine Rat­schläge zu punkt­ge­nauer Nach­hilfe nicht. Logisch. Hätte ich Rat­schläge von mei­nem Vater gewollt? Ich hätte mei­nem Vater nicht ein­mal zuge­hört. Ver­mut­lich hört mir mein Sohn auch nicht zu. Ich sehe ihn unter­ge­hen in sei­ner Prépa und kann ihm nicht hel­fen. Voll­mond.

Bis 3:06 Uhr. Nacima! Harissa ist Nacima. Petite primi deman­de­use d’une péri­du­rale. Die petite primi ist taub. Der Mann dazu auch. Des­we­gen hat Nacima die CTG-Maschine ganz laut gestellt. Die Primi und ihr Mann hören aber trotz­dem nichts. Kön­nen von den Lip­pen lesen. Weiß ich. Ich habe die ganze Fami­lie in den Con­sul­ta­ti­ons gese­hen. Mut­ter, Toch­ter, Schwie­ger­sohn. Alle taub. Dafür hat Nacima kein EKG ange­schlos­sen und kei­nen Blut­druck. Fällt mir aber auch erst nach der Test­do­sis auf. Voll­mond im Kopf.

Danach will Cécile eine petite péri­du­rale für ihre Primi in Salle une. Die Lip­pen sind inzwi­schen nicht mehr so rot. Ich bin ver­sucht, sie zu pro­vo­zie­ren wegen ihrer blö­den Bäu­er­chen vor­hin. Wel­che Art vis­ze­ra­ler Reflexe denn tak­tile Reize ihres lin­ken Hand­ge­lenks aus­lö­sen wür­den, zum Bei­spiel. Aber Cécile inter­es­siert mich dann doch viel zu wenig. Petite péri und zurück ins Bett.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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