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Trüffelmarkt in Aups

Meine Frau wird nächste Woche in einer Familienangelegenheit nach Deutschland reisen und unter anderem ihren Cousin treffen. Der Cousin ist ambitionierter Profi-Hobbykoch. Er ist Oberkochbruder eines Kochclubs mit elitärem Anspruch. Meine Frau will ihn mit schwarzem Trüffel aus der Provence beeindrucken. Trüffel gibt es in Aups. Dort findet jeden Donnerstag Morgen von Ende November bis Ende Februar Marché aux Truffes statt, Trüffel-Markt. Frankreichweit der drittgrößte.

Aups liegt im Hinterland, mitten in dem, was man Provence nennt, da, wo die Zikade wohnt, die Pinie duftet und die Platane Schatten über Alleen und Marktplätzen spendet. Aups ist ein provençalisches Dorf wie aus dem Bilderbuch. Eine gute Stunde mit dem Auto von Toulon. Ich muß fahren, weil meine Frau bis nächste Woche keine Zeit hat.

Am Donnerstag Morgen Mitte Januar muß das Dorf ohne Zikaden auskommen. Temperaturen in Gefrierpunktnähe. 8:06 Uhr am Marktplatz nach einer Stunde und siebzehn Minuten durch Nebelbänke auf kurvigen Départementalstraßen. Wie ausgestorben der Platz. Erstaunlich. Wenn bei uns Markttag ist, sind die ersten Stände um halb acht fertig aufgebaut. Hier findet sich außer mir nur ein Müllmann in knallgrüner Leuchtweste. Schraubt was an seinem Müllwagen. Auf dem Behinderten-Parkplatz direkt vor dem Rathaus. Die Cafés am Platz alle geschlossen. Kein Trüffelhändler weit und breit. Ein Senior in Morgenmantel mit hochgeschlagenem Kragen und graubraunen Filzpantoffeln. Keine Socken. Blaue Äderchen am Knöchel. Baguette unter dem Arm, Kippe im Mundwinkel. Baskenmütze. Wie aus dem Bilderbuch. Vermutlich aber kein Trüffelhändler.

Marché aux truffes de 9:30 heures à 12:00 heures steht auf einem Zettel im Schaufenster des Office de tourisme links unten im Rathaus. Wahrscheinlich ist das ernst gemeint. Paßt nicht wirklich in meine Strategie.

Meine Strategie hat mit provençalischer Bilderbuchidylle nichts zu tun. Mein Strategie war knapp und teutonisch effizient: Vorfahren in Aups und dem erstbesten Trüffelhändler, der seinen Stand aufbaut, zweihundert Gramm Knollen abkaufen und wieder wegfahren. Zackzack! Zum Frühstück der Kinder, die heute keine Schule haben, wieder zuhause. So hätte das bei uns im Dorf funktioniert. So mache ich das immer. Im Rahmen meiner strategischen Vorgaben hätte der erstbeste Trüffelhändler seinen Auftritt spätestens um 8:00 Uhr haben müssen.

Plan B.

Warten in arktischer Kälte. Bei laufendem Motor. Was? Tut mir leid, soll ich bei arktischer Kälte erfrieren? Vier Halbwaisen hinterlassen? Was soll ich denn machen, wenn die provençalische Bilderbuchidylle ohne Café und Zikade auskommen muß? Um halb neun ist der Müllman weg. Ein weißer Lieferwagen fährt vor. Parkt direkt vor mir. Der Fahrer baut lustlos und in Zeitlupe seinen Stand auf. Tische, Kisten. Decken auf Tische und Kisten. Ein Klappstuhl. Zwei Schirme über Tischen, Kisten und Klappstuhl. Schirme! Die Zikade wird für 10:30 Uhr erwartet. Oder Regen? Wohl kaum, der Himmel immerhin ist der aus der Postkarte zur provençalischen Bilderbuchidylle. Die Schirme vermutlich auch. Kein Himmel ohne Schirme. Der Mann mit den Schirmen kann auf Ansprache Bonjour sagen und Bonne année. Jedoch, leider, nein, er ist nicht der Trüffelhändler. Er wird Blumen verkaufen. Die Trüffelhändler kommen aber noch, wird nicht mehr lange dauern.

Kurz nach neun kommt tatsächlich Leben in die Szene. Meist ältere Herrschaften, oft Ehepaare, bauen kleine Klapptische auf, legen bunte Wachstuch-Decken darüber, stellen geflochtene Körbchen darauf. Leere Körbchen. Und digitale Präzisionswaagen. Sie kennen sich alle, grüßen mit Küßchen links-rechts-links, bonne année, nur das Beste, langes Leben, Glück, Reichtum und Zufriedenheit, vor allem aber Gesundheit! Sie haben sich viel zu erzählen, als hätten sie nicht mehr gesehen seit Weihnachten. Das ist Markttag in Südfrankreich wie man sich das vorstellt. Eine dieser Szenen aus der provençalischen Bilderbuchidylle. Die Szene kenne ich. Fehlen die Touristen, die frisierten Mopeds, die Zikaden. Fehlen vor allem die Trüffelknollen. Die finden sich vermutlich in den Plastiktüten unter den nett dekorierten Klapptischchen. Ich habe kalte Füße und Hände und will zurück in meinen Plan A. Kaufen und weg.

Außer einer achtköpfigen Touristengruppe aus Holland mit lokalem Reiseführer und drei oder vier Einzelkäufern keine Kunden außer mir. Wir stehen mit im Rund der Klapptische, treten fröstelnd von einem Bein aufs andere und haben uns angelächelt. Der Reiseführer sagt was auf Holländisch. Er kennt das schon. Geht wohl gleich los.

Punktgenau 9:30 Uhr betritt ein unscheinbar Uniformierter die Szene. Voilà! Mit einer Tröte. Er trötet einmal und ruft: Le marché est ouvert! Der Markt ist eröffnet. Auch das ist Frankreich. Sie haben Elemente aus der Monarchie bis in die Jetztzeit mitgenommen. Am liebsten hätten sie noch einen Ludwig in Versailles sitzen. Nur um ihm früher oder später unzufrieden und öffentlich den Kopf abzuhacken und im gleichen Atemzug den nächsten Ludwig jubelnd nach Versailles zu bringen. Es lebe der König! Der Markt ist eröffnet.

Die Tröte ist das Signal für die älteren Ehepaare. Aus den Plastiktüten unter den Klapptischen werden Trüffelknollen in die Körbchen drapiert. Die Einzelkunden und die Touristengruppe schlendern von Klapptisch zu Klapptisch. Tasten, reiben, schnüffeln.

Ein Typ in brauner Lederjacke spricht mich an. Ob ich Trüffel kaufen wollte. Klar, wofür sonst bin ich denn hier? Er hätte da welche in seiner Tüte. Tüte, welche Tüte? Die Tüte ist unter der Jacke versteckt. Dreihundert Gramm schwarze Trüffel, sagt er. Fünfhundert Euro das Kilo. Das ist relativ günstig. Er hätte allerdings keinen Tisch hier. Der Standgebühren wegen. Zur Abwicklung müßten wir zudem von hier verschwinden, den anderen Händlern würde das nicht so gefallen. Schwarzhandel in Nebenstraßen – das kenne ich von früher. Aus meinem Studium nicht weit von Sibirien. Im schlimmsten Fall bleibt man physisch beschädigt und ohne Geld zurück. Manchmal bekam man eine Rolle straff gewickeltes Zeitungspapier statt eines Packens Drittweltwährung für seinen schönen Hundert-Dollar-Schein. Oder eine gefälschte Tausend-Zloty-Note. Kenn’ ich. Der hier will mir vermutlich ein Säckchen gammelige Kartoffeln verkaufen. Ich würde vielleicht auf sein Angebot zurückkommen, gerne aber zunächst die Ware der Konkurrenz begutachten.

Plan B ist letztendlich auch nicht so schlecht. Interessant. Die Kinder können auch ohne mich frühstücken.

Noch nie hatte ich soviel Muße, das Angebot wirklich zu studieren. Ich darf die Knollen anfassen, kleine Scheibchen abschneiden, sie in der Hand wärmen, das Aroma aufnehmen. Ein Dutzend Tischchen mit Deckchen und Körbchen. Präzisionswaagen, die Milligramm direkt in Euro und Cent umrechnen. Bilder in Klarsichthüllen vom Trüffelschwein, vom Trüffelhund neben den Körbchen mit den Knollen. Mit dem Besitzer am anderen Ende der Leine. Als Beweis der Authenzität quasi. Jeder ist der einzig Ehrliche, alle anderen Halsabschneider. Unter uns, sagen sie. Die, deren Kilogramm tausend Euro kosten soll, haben eben einfach den schwärzesten Trüffel. Sagen diese. Trüffel für sechshundert ist entweder alt oder nicht richtig schwarz. Wenn einer tausend haben will, hat er ihn selbst billig gekauft, alt oder nicht wirklich schwarz, und will ihn mit richtig Gewinn verkaufen. Sagen die anderen.

Am Ende bleibt es für den Laien Zufall. Intuition. Oder so. Die Form der Knollen, die Zwischenmenschlichkeit zum Schweineführer. Der Preis. Der Profi kauft vermutlich ohnehin woanders. Vermutlich ohne das Rahmenprogramm provençalischer Bilderbuchidylle.

Die Hälfte der Knollen wird meine Frau nach Deutschland mitnehmen. Als Geschenk für den Cousin. Die andere Hälfte ist für zuhause. Mein Zweitgeborener, dessen Toleranzgrenzen die kulinarischen Optionen der versorgenden Eltern typischerweise in äußerst knappem Rahmen halten, träumt von Trüffel-Rührei. Immerhin.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

bertram@diehl.fr


Dieser Text erschien in einer gekürzten Version am 27. Januar 2015 als Leserartikel bei ZEIT ONLINE (http://www.zeit.de/reisen/2015-01/trueffel-markt-aups)


Übersetzt ins Französische – Choisir la truffe au pifomètre erschien der Leserartikel seinerseits in der Beilage – La Provence vue par la presse étrangère – von N° 1288 des Courrier international vom 9. Juli 2015.