Karpatenhütte

Klar, das hast Du Dir schon gedacht, cher ami! Ich würde dann doch nicht kau­fen. Es ist schade, daß es ver­kauft wer­den muß, weil ja doch gute Erin­ne­run­gen damit ver­bun­den sind. Jugend­er­in­ne­run­gen. Und natür­lich liegt es idyl­lisch im Dorf, am Bach, ein biß­chen Wald sogar dabei. Man muß sich aber auch darum küm­mern. Immer wie­der hin­fah­ren, nur um nach dem Rech­ten zu sehen. Mal lüf­ten, Mäuse ver­ja­gen, Dach­zie­gel gerade rücken. Oder sich auf Nach­barn ver­las­sen. Oder eine Agen­tur. Oder bei­des, Nach­barn und Agen­tur. Und schon hat man wie­der Auf­wand. Rech­nun­gen von der Agen­tur, Auf­merk­sam­kei­ten für die Nach­barn. Nicht zu ver­ges­sen die Steu­ern, den Was­ser­an­schluß, Strom. Wer hat außer­dem schon 40 k ein­fach mal so übrig? 40 k für eine Dop­pel­haus­hälfte mit deut­li­chem Reno­vie­rungs­stau, gut fünf Stun­den Auto von zuhause. Ich hätte zur Zeit nicht mal das Auto für fünf Stun­den zuver­läs­sige Fahrt. Wann hatte ich das schon mal? Ich mußte schon mal ein Auto in Bur­gund ste­hen las­sen und zwei Wochen spä­ter halb­wegs repa­riert abho­len. Kupp­lung kaputt. Meine Kin­der sind nach­hal­tig trau­ma­ti­siert. Bur­gund? Regen? Nie wie­der! Mein Dritt­ge­bo­re­ner, damals knapp drei, brachte es auf den Punkt: es hat gereg­net und Papa hat zwei Autos kaputt­ge­macht. Das zweite war das Dei­nes Vaters, Gott sei sei­ner Seele gnä­dig. Und es war auch nur die Bat­te­rie. Aber das nur neben­bei. Gehört nur peri­pher zum Thema. Obwohl, das mit dem Regen passt natür­lich schon in den Kon­text. Weit weg und immer reg­net es. Kei­ner würde mich besu­chen kom­men, kei­ner würde was wol­len von mir. Weil es eben weit weg ist und immer reg­net. Keine Pal­men, kein Pool, keine Glotze. Kein Ser­vice. Weit weg, gerne Regen. "Kar­pa­ten­hütte" nenne ich das. Die Hütte in den Kar­pa­ten. Die Kar­pa­ten, weil es da so schön ist, so ursprüng­lich, so weit weg. Die abge­schie­dene Hütte, in die ich mich wün­sche, wenn das Auto schon wie­der abge­schleppt wer­den muß, zuhause die Spül­ma­schine gedul­dig auf eine Repa­ra­tur war­tet und die Toch­ter das Resul­tat von neun mal acht hart­nä­ckig auf 68 oder 93 schätzt. Fehlt noch, daß wie­der kei­ner am Pool auf­ge­räumt hat und der Post­bote zu faul war, wegen des Pakets von Ama­zon zu klin­geln. In der Post­stelle abzu­ho­len, aber nicht vor Mon­tag 15 Uhr. Viel­leicht noch der Anruf einer Heb­amme um 2:53 Uhr. – Die Kar­pa­ten­hütte jetzt, bitte sofort! Weit weg, am liebs­ten alleine! Lasst mich doch ein­fach mal alle in Ruhe, küm­mert Euch selbst um Euren Kram! Das Auto, das Ein­mal­eins, die Péri­du­rale. Was brau­che ich schon von Ama­zon? Ich ver­schwinde für ein paar Wochen in meine Hütte. Alleine. Könnte dann auch in Bur­gund sein, die Kar­pa­ten­hütte. Egal. Haupt­sa­che weg und kei­ner kommt. Oder nur, wer mich wirk­lich sehen will. Trotz Regen.

Vor ein paar Jah­ren stand ich vor mei­ner Kar­pa­ten­hütte. Hat sich letzt­end­lich eine Bekannte geholt. Glaube ich. Ich habe nichts mehr davon gehört. Viel­leicht bes­ser so. Auch mit deut­li­chem Reno­vie­rungs­be­darf, die Hütte. In den Kar­pa­ten, an deren nord­öst­li­chem Ende, jen­seits von Trans­syl­va­nien, Sibi­rien gefühlt fast in Sicht­weite. Ehe­ma­lige Schä­fer­hütte. Sie liegt auf zwei Hektar Wald und Wei­de­land mit Blick über Hügel, Wäl­der und Täler auf den Son­nen­un­ter­gang hin­ter den umge­ben­den Zwei­tau­sen­dern. Schön da. Eine Art pri­mi­ti­ver Block­hütte, gemau­er­ter Kamin, Holz­schin­deln auf dem Dach­ge­bälk. Vor der Ein­gangs­tür ein Vor­dach mit schön gesta­pel­tem Brenn­holz. Da säße ich dann immer mit gran­dio­sem Blick über die Land­schaft, auf den Son­nen­un­ter­gang. Das Brenn­holz würde ich den Som­mer über aus mei­nem Wald gezerrt und selbst gesta­pelt haben. Hin­ter der Hütte ein klei­ner Anbau. Die sani­tä­ren Anla­gen beschrän­ken sich auf ein Plumps­klo. Innen ein ein­zi­ger Raum, viel­leicht zwölf Qua­drat­me­ter, ein Fens­ter. Auf den Holz­die­len ein Tisch, zwei Stühle, ein Bett. Vor dem Kamin ein klei­ner guß­ei­ser­ner Ofen­herd, den jemand vor Jahr­zehn­ten hier her­auf geschleppt haben muß. Kein Strom. Flie­ßend Was­ser im Bach nebenan.

Wer braucht das schon län­ger als viel­leicht drei Tage?

Vor drei Jah­ren, weil sie mein ewi­ges Gerede von der Kar­pa­ten­hütte nicht mehr hören wollte, hat mir meine Frau eine päd­ago­gi­sche Woche in Irland geschenkt. Päd­ago­gik zur Kar­pa­ten­hütte. Win­zi­ges Feri­en­häus­chen. Am Ende einer Sack­gasse zwi­schen Schaf­wei­den. Direk­ter Blick west­wärts über den Atlan­tik. Angeb­lich das west­lichste Feri­en­haus Irlands. Kamin, Küche, Dop­pel­bett. Iso­lier­glas, Fuß­bo­den­hei­zung. Vom Anbie­ter ange­prie­sen als Toplo­ca­tion für unge­störte Flit­ter­wo­chen. Für mich "Expe­ri­en­cing soli­tude" – die Kar­pa­ten­hütte, wie sie wirk­lich ist. Allein mit Scha­fen und Blick über Land­schaft mit Gewäs­ser. Hohe Regen­wahr­schein­lich­keit. Kar­pa­ten­hütte in Irland. Nur Iso­lier­glas und Fuß­bo­den­hei­zung pass­ten nicht wirk­lich dazu. Das Flit­ter­wo­chen-Dop­pel­bett eigent­lich auch nicht. Gar nicht eigent­lich.

Zum Glück hatte ich ein Auto.

Eine Woche spä­ter kannte ich große Abschnitte des Ring of Kerry zwi­schen Kil­lar­ney und Port­ma­gee. Spek­ta­ku­läre Land­schaft. Mas­si­ver Tou­ris­mus. Viele große Busse auf schma­len Stra­ßen. Außer­dem war ich auf Sceilg Mhichíl. Skel­lig Michael ist eine baum­lose Fels­in­sel knapp zwölf Fischer­boot­ki­lo­me­ter vor Port­ma­gee. Wenig Tou­ris­mus. Machen nur die, die das wirk­lich wol­len. Und die Leute von Star Wars VII hat­ten da letz­ten Som­mer für ein paar Sze­nen einen Auf­tritt. Ab dem sechs­ten Jahr­hun­dert leb­ten dort zwölf Mön­che und ihr Abt in zugi­gen Stein­hüt­ten. Tro­cken­mau­er­bau­weise. Kei­ner kam sie besu­chen. Nur die Wikin­ger waren um 823 da. Wur­den aber abge­wie­sen. War zudem abso­lut ohne Inter­esse. Sogar für Wikin­ger. Drei­zehn kno­chen­dürre Kerle in Woll­kut­ten. Ein paar Schafe viel­leicht. Keine Frauen.

Per­fek­tes Kar­pa­ten­hüt­ten-Ambi­ente. Unbe­zahl­bar. Aber: wer braucht das schon län­ger als viel­leicht drei Tage?


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

bertram@​diehl.​fr


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