Mexique

31. Dezember 2015 Von Alleinerzieher

Mexique 001

Wir sind gleich für Sie da.

Eine weib­li­che Stimme unter­malt von Digi­tal­mu­sik. Ansa­gen im Minu­ten­takt. Ich befinde mich in einer War­te­schleife der Deut­schen Post. Die Sen­dungs­ver­fol­gung bei DHL. Mein Schwie­ger­va­ter war­tet auf den Weih­nacht­s­ka­len­der mit Bil­dern sei­ner Enkel. Kriegt er jedes Jahr. Zwölf Bil­der in Groß­for­mat. Indi­vi­du­elle Maß­an­fer­ti­gung in Hand­ar­beit. Jeder Tag hand­ge­malt. Unter Berück­sich­ti­gung der Fei­er­tage in Schles­wig-Hol­stein. Und nun ist Weih­nach­ten seit fast einer Woche vor­bei und vom Kalen­der keine Spur. Nicht bei den Nach­barn, nicht mal ein Benach­rich­ti­gungs­schein Abho­lung nicht vor mor­gen Nach­mit­tag ab 15 Uhr oder so. Bei colis​simo​.fr heißt es seit dem 19. Dezem­ber "Votre colis a quitté le pays d'origine". Der Kalen­der hat Frank­reich ver­las­sen. Ab jetzt ist DHL zustän­dig. Wer sonst?

Nut­zen Sie jeder­zeit ein­fach und bequem alle Ser­vices online – unter deut​sche​post​.de.

Zur Abwechs­lung eine männ­li­che Stimme. So rich­tig gerne spricht man im Call­cen­ter bei der Deut­schen Post also nicht mit dem Kun­den. Ver­su­chen Sie Ihr Glück doch lie­ber online. Selbst schuld, wenn Sie seit geschla­ge­nen zwan­zig Minu­ten Com­pu­ter­mu­sik hören müs­sen. Habe ich natür­lich vorab gemacht. Ich habe den Online-Ser­vice der Sen­dungs­ver­fol­gung genutzt. Meine fran­zö­si­sche Paket­num­mer ist da lei­der unbe­kannt. Kann ja eigent­lich nicht sein. In Deutsch­land gehen keine Pakete ver­lo­ren. Nicht in Deutsch­land. Ich würde mein Leid nun so gerne einem Kun­den­be­ra­ter kla­gen. Viel­leicht hat ein mensch­li­cher Ansprech­part­ner Zugang zu mehr Infor­ma­tio­nen.

Der nächste freie Kun­den­be­ra­ter ist bereits für sie reser­viert.

Das ist schön. Lange kann es ja nun nicht mehr dau­ern. Meine Eltern haben auch einen Kalen­der zu Weih­nach­ten bekom­men. Auch mit groß­for­ma­ti­gen Fotos der Enkel. Auch eine indi­vi­du­elle Maß­an­fer­ti­gung in Hand­ar­beit. Jeder Tag hand­ge­malt. Unter Berück­sich­ti­gung der Fei­er­tage in Baden-Würt­tem­berg. colis​simo​.fr wußte drei Tage spä­ter zu ver­mel­den: "Votre colis est livré". Das Paket ist zuge­stellt. Bei Por­to­kos­ten von knapp fünf­und­zwan­zig Euro hätte ich auch nichts ande­res erwar­tet. Ich würde zu gerne wis­sen, was die Deut­sche Post solange mit dem Kalen­der an den Schwie­ger­va­ter macht.

Bitte haben Sie einen Augen­blick Geduld.

Habe ich. Was bleibt mir Ande­res übrig. Viel­leicht hätte ich doch der Anre­gung mei­ner Frau fol­gen sol­len und mein Glück im loka­len Ser­vice-Cen­ter der Post ver­su­chen. Womög­lich wäre ich da schnel­ler zum Ziel gekom­men. Immer­hin pro­fi­tiert die lokale Agen­tur der Post von einer groß­zü­gi­gen vor­weih­nacht­li­chen Zuwen­dung unse­rer­seits. Für den Post-Kalen­der. Jedes Jahr Anfang Dezem­ber klin­gelt die Zustel­le­rin. Meine Toch­ter hat sich die Ver­sion mit Pfer­de­bil­dern aus­ge­sucht. Feu­er­wehr und Müll­ab­fuhr machen auch die Runde. Bie­ten aber keine Aus­wahl. Pro­fi­tie­ren trotz­dem von einer groß­zü­gi­gen Zuwen­dung. Vor ein paar Jah­ren geriet mit­ten im Hoch­som­mer die Wiese nebenan in Brand. Die ursäch­li­che Betei­li­gung eines deut­lich min­der­jäh­ri­gen Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen war nicht sicher aus­zu­schlie­ßen. Die Feu­er­wehr war mit zwei Lösch­zü­gen vor­ge­fah­ren, noch bevor die anlie­gen­den Hecken ernst­haft Feuer fan­gen konn­ten. Seit­dem groß­zü­gig.

Einen kur­zen Moment noch.

Kurz ist gelo­gen. Das höre ich nun bestimmt schon zum drit­ten Mal. Meine Toch­ter fühlt sich durch das Gedu­del aus mei­nem Tele­fon gestört. Redest du immer noch mit der Post?

Wir ver­bin­den Sie schnellst­mög­lich.

Die Tele­fon-Infor­ma­ti­ker bei der Deut­schen Post haben sich wirk­lich Mühe gege­ben. Mit vari­ie­ren­den Aus­sa­gen vom Band gelingt es ihnen, den Ein­druck zu erwe­cken, man würde in der Schlange vor­rü­cken. Über dem Schal­ter eine Anzeige. 453. Nur noch drei­zehn Kun­den bis zu mei­ner Num­mer.

In weni­gen Augen­bli­cken sind wir für Sie da.

Schade nur, daß die Augen­bli­cke bei DHL so lang sind.

Guten Tag, mein Name ist Michael, was kann ich für Sie tun? Der ist echt. Michael hört sich mein Anlie­gen an. Fragt mich nach mei­ner Paket­num­mer. Tippt sie in sei­nen Com­pu­ter. Täte ihm leid, aber diese Num­mer sei dem Sys­tem unbe­kannt. Auch in einem zwei­ten Ver­such kein Resul­tat. Ich solle doch mal beim fran­zö­si­schen Anbie­ter nach­for­schen. Oder meine Num­mer ein­fach in ein paar Tagen noch­mal selbst ins Sys­tem ein­ge­ben. Tol­ler Vor­schlag! Michael gibt sich zurück­hal­tend. Hat angeb­lich kei­nen Zugang zu wei­te­ren Infor­ma­tio­nen den Ver­bleib mei­nes Kalen­ders betref­fend. Ich finde Michael insuf­fi­zi­ent. Ich finde, er könnte sich etwas mehr Mühe geben. Mehr Empa­thie zei­gen zumin­dest. Das kann doch nicht sein, daß der Kalen­der in Deutsch­land ein­fach ver­schwin­det! Michael hat wohl keine Vor­stel­lung davon, wie­viel Arbeit die­ser Kalen­der gemacht hat! Ich kann meine Ent­täu­schung nicht ver­heh­len. Er bedankt sich trotz­dem für mei­nen Anruf und wünscht mir einen schö­nen Tag.

Veuil­lez pati­en­ter, nous vous met­tons en con­tact avec un con­seil­ler cli­en­tèle.

Die Hot­line bei colis​simo​.fr. Auch Musik. Auch die Aus­sicht auf den Kon­takt mit einem Bera­ter. Aber keine glaub­hafte Insze­nie­rung von Bewe­gung in der Wart­schlange. War­ten und Hof­fen. Knappe zehn Minu­ten. Die Stimme, weib­lich, fin­det mein Paket. Sie weiß zu bestä­ti­gen, daß der Kalen­der für den Schwie­ger­va­ter Frank­reich ver­las­sen hat. Von der Post in mei­nem Dorf wurde er nach Mar­seille gebracht. Was an sich schon unge­wöhn­lich sei, denn Pakete nach Deutsch­land wür­den über Lyon abge­wi­ckelt wer­den. Nor­ma­le­ment. Sagt die Stimme. Warum mein Kalen­der für den Schwie­ger­va­ter in Deutsch­land nun aber nach Mexiko geflo­gen wor­den wäre, ver­stünde sie auch nicht. Täte ihr aber leid. Mexiko? Oui, au Mexi­que. Mein Nach­for­schungs­auf­trag bekommt eine Num­mer. Wenn ich inner­halb von 40 (vier­zig!) Tagen nichts erfah­ren würde, keine Mail, kein Brief, kein Anruf, solle ich mich wie­der mel­den. Mit der Num­mer. Die Gebüh­ren für einen neuen Ver­sand en Allema­gne wür­den mir in jedem Fall erstat­tet wer­den.

Cor­reos de México, Track & Trace, 22. Dezem­ber 2015, 09:42:00 h: En trán­sito hacia destino. Mexiko. Tat­säch­lich. Da ist der Kalen­der. In Mexiko. Auf dem Weg zum Ziel.

30.12.2015, 19:43 Uhr: Die Sen­dung ist im Ziel­land ein­ge­trof­fen. Nächs­ter Schritt: Die Sen­dung wird zum Zustell-Depot trans­por­tiert. Schreibt DHL. Der Kalen­der ist zurück aus Mexiko!

Wäre Michael nicht so schwer zu errei­chen, würde ich ihn noch­mal anru­fen.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

bertram@​diehl.​fr