José

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Der Krimiautor aus Norddeutschland saß mit seiner Gattin bei uns auf der Terrasse. Anfang Juli. Der Sohn fuhr mit erheblicher Geräuschkulisse vor. Motorschaden, würde ich sagen. Sagte der Krimiautor. Kurbelwelle oder Pleuelstange. Der Krimiautor ist auch Autospezialist. Er hat bei sich zuhause eine Scheune voll mit einem ganzen Rudel alter Autos. Autos aus Nordeuropa und so gänzlich ohne für Außenseiter erkennbaren Charme. Ich habe nicht verstanden, warum gerade Autos aus Nordeuropa. Autos, die es zudem gar nicht mehr gibt. Daß es sie nicht mehr gibt, muß ja einen Grund haben. Wahrscheinlich haben die auch Schwachpunkte an Kurbelwelle oder Pleuelstange. Vielleicht kannte er das Geräusch aus seiner Scheune, ich erinnere mich nicht mehr genau. Wie auch immer, Kurbelwelle oder Pleuelstange. Da würde er seine rechte Hand drauf verwetten. Kannste direkt auf den Schrottplatz bringen. Ich mußte in letzter Zeit relativ viele Autos an den Schrotthändler übergeben. Mal war’s der Turbo und auch schon mal die Pleuelstange. Das dann aber mit ordentlichem Knall und bedeutendem Ölverlust. Alle Leuchten rot im Armaturenbrett. Sofortige Einbuße der Fahrfähigkeit. Dieser hier fuhr ja noch. Mit einem unangenehm metallischen Schlagen zwar, fuhr aber noch. Kein Rotlicht, kein Ölverlust. Daher sollte auch dieses eher betagte Modell eines französischen Herstellers seine Chance haben. Und zumindest mit einer validen Diagnose aus der Profiwerkstatt meines Vertrauens zum Schrotthändler gehen, rechte Hand des Krimiautors hin oder her. Vielleicht täuschte sich der Krimiautor ja auch und mein schlechtes Gefühl könnte unbegründet sein. Vielleicht war doch nur ein kleines Rädchen aus dem Gleichgewicht geraten.

Die Profiwerkstatt meines Vertrauens brauchte zwei Tage zur Diagnosestellung. Pleuelstange. Tatsächlich. Sie hatten zusätzlich zur Blickdiagnose noch irgendwo aufgeschraubt und was gemessen. Die Kompression, glaube ich. Nach Messung der Kompression war die Datenlage eindeutig: Pleuelstange. Neuer Motor. Wirtschaftlich nicht vertretbar. Schrotthändler. Tatsächlich. Aber er hätte da einen anderen Klienten, der sich von seinem Altfahrzeug trennen wollte, sagte der Patron. Und vielleicht gäbe es für einen treuen Kunden wie mich noch Optionen, meinen Schrotthaufen für einen Gebrauchtwagen in Zahlung zu geben. Ich hatte es nicht eilig und er wollte sich nächste Woche melden. Das war Anfang Juli, wie gesagt.

Heute Morgen kam ich aus einem Dienst. Tage nach Dienst lassen keine intellektuellen Höhenflüge zu. Gefühlt bewege ich mich da auf dem Niveau eines Zwerghasen zum Beispiel. Reicht für Aktivitäten eher niedrigen Anspruchs. Gute Gelegenheit, allerlei bislang erfolgreich prokrastinierte Baustellen eher unangenehmer Kategorie abzuarbeiten. Wie die Entsorgung dieses Fahrzeugs. Steht seit Wochen auf dem Hof der Profiwerkstatt meines Vertrauens und kostet Versicherungsprämie. Das Altfahrzeug des anderen Klienten war reinen Gewissens doch nicht zu verkaufen gewesen, die Inzahlungname für einen Gebrauchtwagen hätte sich auf einem finanziell signifikant höheren Niveau abgespielt. Signifikant zu hoch. Schlußstrich. Weg damit. Der Patron der Profiwerkstatt wollte mich auch gerade angerufen haben, na sowas, denn ab übernächster Woche sei er in Urlaub. Es wäre ihm doch sehr recht, wenn ich mein Auto nun doch wieder abholen würde, vor seinem Urlaub. Fährt ja noch. Die Batterie, inzwischen leer, würde er mir noch laden. Rendez-vous um fünfzehn Uhr.

Das schafft er doch noch bis zum Schrotthändler, oder? – Ja, klar, kein Problem, er hat’s ja auch bis in die Werkstatt geschafft. Ob dies, bei näherer Überlegung, als stabiles Argument taugte, mag dahin gestellt bleiben. Gute fünf Kilometer, dachte ich mir, sind nun wirklich keine Weltreise. Mein Sohn hatte es bis nach Hause geschafft mit dieser Geräuschkulisse und ich in die Werkstatt. Auf die paar Kilometer sollte es nun doch nicht ankommen. Ich nahm mir vor, die Autobahn und Strecken mit Steigung soweit wie möglich zu meiden. Keine übermäßige Belastung. Dezenter, gleichmäßiger Fahrstil. Mehr noch als sonst. Zudem gab sich der Patron ja nun ausgesprochen zuversichtlich. Wenn er im Übrigen mal einen Wagen vor dem Kauf begutachten sollte, stünde er jederzeit zur Verfügung, klar doch. Und, wenn es mir irgendwie möglich sei, hätte er gerne die Batterie aus dem Auto wieder. Die sei nämlich seine. Meine wäre nach all den Wochen doch nicht mehr gut gewesen. Gute Fahrt noch und bon week-end.

Auf dem unvermeidbaren Abschnitt Autobahn gewann das schlagende Geräusch neue Komponenten. Ein schleifendes Rasseln, würde ich sagen. Wahrscheinlich war ich zu schnell gefahren. An einem der letzten Rond-points zum Schrotthändler ging der Motor aus. Und ließ sich nur sehr mühsam wieder in Gang bringen. Blinkende, rote Leuchte: STOP. War da nicht auch der Geruch von heißem Öl und geschmolzenem Plastik in der Luft? Egal. Ein Kilometer noch. Wenn der Wagen jetzt Feuer finge, wäre das immerhin eine nette Geschichte für den Blog. Sekunden später blieb der Wagen endgültig stehen. Nichts bewegte sich mehr. Brannte leider nicht. Nicht mal Rauch. Nicht ein bißchen. Nichts. Tot. Der Patron hatte mich angelogen. Oder den Ernst der Situation unterschätzt. Würde mir aber, leider, jetzt nicht helfen können. Auch mein Sohn gab sich am Telefon zögerlich. War eigentlich gerade im Aufbruch zu seinen Kumpels gewesen. Abschleppen? Hätte er ja noch nie gemacht. Und es wäre doch zu blöde, wenn am Ende beide Autos kaputtgingen. Und warum ich nicht die Assistance der Versicherung anrufen würde. Die Assistance? An einem Freitag Nachmittag? Das kenne ich. Deren Einsatz wäre bestenfalls als Hilfe zur Selbsthilfe zu werten. Der Abschlepper frühestens in zwei Stunden, würden die sagen. Ich sähe ja selbst, was da gerade auf den Straßen los wäre. Zwei Stunden für nicht mal einen Kilometer?

Montag werde ich José anrufen, den Patron. Und ihm nahelegen, seine Batterie doch gelegentlich, am besten vor seinem Urlaub, bei mir abzuholen. Ich bräuchte sie nun nicht mehr.


© Bertram Diehl, 2016. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

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