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Jeu de l’oie

Quoi? Was ist? –

Gérard ist sichtlich genervt. Draußen liegt die Temperatur bei deutlich über dreißig Grad, in meiner Waschküche ist es auch nicht kühler. Dazu tropische Luftfeuchtigkeit. Schweißtreibend. Da hat ihm seine Frau am Telefon gerade noch gefehlt. Ich kenne das. Wenn mein Telefon den ganzen Tag bisher nicht geklingelt hat,  muss ich mich unter die Dusche stellen oder gerade sterile Handschuhe übergestreift haben um eine Péridurale zu stechen. Klingelt bestimmt das Telefon. Ist nicht immer meine Frau.

Die müssen auf dem Küchentisch liegen. –

Gérard ist der erste vom Darty-Kundendienst, der sich mit Namen vorgestellt hat. Gérard vom Darty-Kundendienst. Darty ist in Frankreich sowas wie Saturn oder Mediamarkt in Deutschland. Vor einer halben Stunde war Gérard noch voller Zuversicht. Beim Kunden vorfahren, Maschine aufschrauben, Teil auswechseln, kurz testen, alles funktioniert wieder, zufriedener Kunde. Papierkram. Zehn Minuten grand maximum. Und dann das: E:58 und E:67. Sein Teil ist das falsche. Er ist überzeugt, der Kollege irrt. Aber nun, wo er schon mal hier ist.

Na da, wo ich sie immer hinlege, neben der Obstschale. Ich lege die Schlüssel immer neben die Obstschale, weißt du doch! –

Drei Wochen früher. 14. Juli. Feiertag in Frankreich. Nationalfeiertag. 2017 ein Freitag. Meine Frau ist im Haushalt tätig. Wischen, putzen, räumen. Ich mache wahrscheinlich mal wieder nichts. Kann ich besonders gut, sagt meine Frau. Nichts machen, meint sie, kann ich besonders gut. Sagt sie immer dann, wenn sie mal was macht im Haushalt. Kannst du mal die Waschmaschine reparieren. Die geht nicht mehr auf. Maschinen gehen immer vor dem Wochenende kaputt.

Die müssen da sein, schau’ doch noch mal richtig! –

E:58. Die Waschmaschine ist fast fertig geworden mit einem Waschgang. Ein gelbes Licht blinkt, das Fenster zur Wäsche lässt sich nicht öffnen. Aus- und Einschalten hilft manchmal. Diesmal nicht. Tonsignal, gelbe Leuchte, E:58. 58 sagt mir was, das war, glaube ich, schon mal. Oder war es die Spülmaschine? Oder was ganz Anderes? Bestimmt hat ein Legoteil die Pumpe blockiert. Oder ein Ein-Cent-Stück. Ich habe auch schon Zahnstocher in den Flügeln der Pumpe verklemmt gefunden. Man kann sich kaum vorstellen, wie ein Zahnstocher dahinkommt. Aber, mich kann nichts mehr überraschen an der Pumpe. Kenne ich. Das gibt immer solche Fehlermeldungen, irgendwas mit E. Ich habe schon, früher mal, Kundendienst kommen lassen, 78 Euro plus Mehrwertsteuer für Anfahrt und die erste halbe Stunde, 39 Euro jede weitere halbe Stunde. Da wusste ich noch nicht, dass eine Pumpe verklemmen kann. Haben Sie schon mal an der Pumpe nachgesehen? Welche Pumpe? Macht 78 Euro plus Mehrwertsteuer. Nicht verhandelbar. Keine fünf Minuten später war der Kundendienst wieder weg. Haarspange der Tochter. Drei Minuten alleine für den Papierkram. Lehrgeld. Passiert mir nicht wieder. An der Pumpe liegt es diesmal nicht. Klarer Fall für den Kundendienst.

Ich habe keine Ahnung, wo sie sonst sein können. Ich bin nach Hause gekommen und habe sie auf den Tisch gelegt. So wie immer. Ganz sicher. –

Der telefonische Kundendienst von Darty funktioniert auch an Feiertagen. Ein bisschen verzögert zwar, knappe Viertelstunde Warteschleife, aber immerhin.

Montag schon wird ein Techniker kommen. Nachmittags zwischen 12 und 17 Uhr. Wird sich der Sohn kümmern müssen.

Ich habe jetzt eigentlich keine Zeit, ich bin beim Kunden. Frag’ doch mal Mathieu, vielleicht hat der sie genommen, ce connard. –

Gérard ist mittlerweile der dritte aus der Kundendienst-Mannschaft von Darty. Der erste kam tatsächlich schon am Montag nach dem Freitagsfeiertag. Der Sohn war zuhause. Es muss ein kurzer Auftritt gewesen sein. Blickdiagnose. E:58. Das kann nur das module de puissance sein, was auch immer das sein mag. Hatte er nicht dabei. Leider. Musste bestellt werden. Papierkram drei Minuten. 89 Euro. Plus Mehrwertsteuer. Ist mittlerweile allerdings ein Pauschalpreis. Egal wie oft sie kommen müssen. Immerhin. Die Bestellung dauert zehn Tage. Neuer Termin am Samstag Nachmittag in zehn Tagen. Zwischen 12 und 17 Uhr. Per Mail ein Einsatzbericht. Oben das Motto, notre objectiv: vous satisfaire à 100%, unser Ziel: Ihre Zufriedenheit zu 100%.

Ça va, ça va, ich weiß, dass Mathieu kein connard ist, excuse-moi!  Wie gesagt, ich arbeite! Ich weiß aber auch nicht, wo die Schlüssel sind! –

Samstag Nachmittag, 17 Uhr. Gut zehn Tage später. Wir waschen unsere Wäsche eben solange im Waschsalon keine fünf Minuten entfernt. Der Techniker, ein anderer als beim ersten Mal, hat noch, übers Département verteilt, drei weitere Kunden zufriedenzustellen. Erwähnt er gleich zum Bonjour. Die Logistikerin hat anscheinend keine Ahnung von der Geografie des Départements, sagt er, und Darty sei ohnehin sowas von schlecht organisiert. Dass die überhaupt überleben können, und das schon so lange! Er ist auch nicht einverstanden mit der Blickdiagnose seines Vorgängers. E:58 wäre normalerweise der convertisseur de fréquence. Oder beide, module de puissance und convertisseur de fréquence. Hätte der Kollege einfach im Handbuch nachlesen können. Aber vielleicht kann der ja nicht lesen. Egal, sagt er, jetzt bin ich ja schon mal hier. Dieser Herr weiß genau, wie man das anstellt mit der Kundenzufriedenheit. Sein Bauteil befindet sich raffiniert versteckt hinter der Vorderfront. Ça, ils le savent très bien, ces boches, nous faire chier tout le temps. Übersetzt, im Ton abgemildert: Das können sie, diese Deutschen, uns das Leben schwermachen. Die Maschine ist von Siemens. Etwa zwanzig Kabel mit zwanzig ähnlichen Steckern führen zum module de puissance. Das module de puissance muss das Gehirn der Maschine sein. Wäre aber idiotensicher, sagt er. Jeder Stecker passt nur in einer bestimmten Buchse. Am Ende ist alles wieder versteckt hinter der Vorderfront, irgendwie. Und dann: E:67. Ob er sich nicht doch getäuscht haben könnte mit einem der idiotensicheren Stecker? Immer noch kaputt. Aber anders. Noch kaputter vielleicht. Sagte ich doch gleich, meint der Techniker irgendwie triumphierend. Das andere Teil hat er jedoch nicht dabei, leider. Der Kollege von letzter Woche hätte es übrigens im Wagen gehabt, weiß seine Software. Der muss es wohl irgendwie eilig gehabt haben. Neues Rendezvous nächsten Freitag. Nachmittags. Ob er selbst wieder käme, kann er natürlich nicht sagen. Meine Zufriedenheit als Kunde erfährt zunehmend Einschränkungen. Drei Sterne von fünf vielleicht noch.

Also, dann kann ich dir auch nicht helfen. Bordel à cul! –

Gérard ist am Rande seiner Nervenkraft. Das Telefon zwischen linkes Ohr und die Schulter geklemmt, hat er die Rückseite der Maschine aufgeschraubt, zwölf Schrauben, das Bauteil ausgetauscht und festgestellt, dass die Maschine immer noch nicht funktioniert.

Ich muss jetzt auch auflegen, ich bin immer noch beim Kunden. Bisous. Küsschen.

E:67. Unverändert. Hätte schlimmer kommen können, E:79 oder so. Habe ich ja gleich gesagt. Wieder dieser Rechthaber-Triumph, den sein Vorgänger schon so gut konnte.

Den Montag darauf holt Darty die Waschmaschine ab. Auf meine Anregung hin. Ich könnte nicht jede Woche einen Nachmittag frei kriegen, um ihm oder seinen Kollegen beim Basteln zuzusehen. Nehmen Sie sie mit und bringen Sie sie wieder, wenn sie funktioniert. Gegen Gérards Bedenken. Ganz schwierig, das ginge nur mit Genehmigung von höchster Stelle, François Hollande sozusagen. Ging dann doch. Gérard hat den Zeitenwechsel verschlafen, François Hollande ist nicht mehr der Chef. Mit Emmanuel Macron geht alles besser. Meine Kundenzufriedenheit ist nichtsdestotrotz auf einem Tiefpunkt angelangt, ein Stern noch. Weniger geht nicht.

 

Ich erinnere mich mittlerweile, wo ich die 58 schon mal gesehen habe. Im Gänsespiel. Auf Feld 58, ganz kurz vor dem Ziel, stirbt die Gans. Oder schläft ein. Der Spieler muss von vorne beginnen. Deutsche Techniker haben einen diskreten Sinn für Humor. E:58 heißt weg mit der Maschine, die ist richtig kaputt, hol’ dir ‘ne neue. Sowas können deutsche Techniker. Die Maschine erkennt den Erstkontakt mit der Steckdose des Kunden. Die Obsoleszens ist auf genau sechs Jahre später programmiert, ganz sicher außerhalb jeglicher Garantieoptionen. Da können Gérard und seine Kollegen machen, was sie wollen. Sagt ihnen aber keiner. Diskrete deutsche Techniker eben.


© Bertram Diehl, 2017. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

bertram@diehl.fr