Golfplatz

20. Oktober 2016 Von Alleinerzieher

Zum Jah­res­ende wol­len sie unser Labor zuma­chen. Nein, sie wol­len nicht, sie wer­den. Sie, die Direk­tion. Dabei ist das Labor außer dem Kiosk in der Ein­gangs­halle mei­nes Wis­sens die ein­zige Abtei­lung, die Gewinn abwirft. Bis­her hat das Centre hos­pi­ta­lier für 2016 drei Mil­lio­nen Ver­lust ein­ge­fah­ren. Drei Mil­lio­nen Euro. Letz­tes und vor­letz­tes Jahr waren es ins­ge­samt jeweils fünf Mil­lio­nen, sagen sie. Sie, die Direk­tion. Des­we­gen haben wir seit­her eine gemein­same Direk­tion mit dem gro­ßen Kran­ken­haus quasi nebenan, in Tou­lon. Dort bringt das Labor im Gegen­satz zu vie­len ande­ren Abtei­lun­gen, unter ande­rem ver­mut­lich dem Kiosk in der Ein­gangs­halle, kei­nen Gewinn. Unser gemein­sa­mer Direk­tor ist vor allem der Direk­tor des gro­ßen Kran­ken­hau­ses quasi nebenan. Das große ist seins. Um unser Kran­ken­haus küm­mert er sich nur so neben­bei. Logisch, daß er vor allem an seins, das große, neue quasi nebenan denkt. Er hat die Zah­len sofort durch­schaut. Für das Ver­ständ­nis von Zah­len braucht es kei­nen medi­zi­ni­schen Sach­ver­stand. Der Direk­tor glaubt, daß er sein Labor sanie­ren kann, wenn er sich unse­res ein­ver­leibt. Ande­rer­seits möchte man den­ken, es bräuchte kei­nen aus­ge­präg­ten medi­zi­ni­schen Sach­ver­stand, um zu ver­ste­hen, daß ein Kran­ken­haus der Basis­ver­sor­gung mit Geburts­hilfe nicht mehr rich­tig funk­tio­nie­ren kann ohne eige­nes Labor im Kel­ler. Vor einem Jahr etwa hat­ten wir eine Réunion mit dem Direk­tor zu die­sem Thema. Wir wie­sen ihn dar­auf hin, daß ein Kran­ken­haus der Basis­ver­sor­gung und ins­be­son­dere des­sen Geburts­hilfe ohne ange­schlos­se­nes Labor nicht mehr rich­tig funk­tio­nie­ren kann. Der Direk­tor hielt dage­gen, daß er Spe­zia­lis­ten für sowas hätte und daß die Spe­zia­lis­ten einen Plan aus­ar­bei­ten wür­den, wie unser Kran­ken­haus auch ohne direkt ange­schlos­se­nes Labor im Kel­ler funk­tio­nie­ren würde. Das Labor des gro­ßen, neuen Kran­ken­hau­ses quasi nebenan hätte aus­rei­chend Kapa­zi­tä­ten, die Ver­sor­gung unse­res klei­nen Kran­ken­hau­ses samt sei­ner Geburts­hilfe kor­rekt zu bedie­nen. Beden­ken unse­rer­seits ange­sichts einer Ent­fer­nung von immer­hin knapp fünf­zehn Kilo­me­tern hohen Stau­po­ten­ti­als zwi­schen den bei­den Häu­sern ließ er nicht gel­ten. Der Direk­tor betonte, er hätte Spe­zia­lis­ten für sowas. Diese wären in der Lage, einen Plan aus­zu­ar­bei­ten, der allen Even­tua­li­tä­ten Rech­nung tra­gen würde. Wie kann man bloß so blau­äu­gig sein! Hat er die Staus zu jeder Tages­zeit noch nie aus eige­ner Anschau­ung erlebt? Wenn der Tun­nel Rich­tung Mar­seille gesperrt ist, geht im Umkreis von zehn Kilo­me­tern gar nichts mehr. Stau in den kleins­ten Neben­stre­cken. Nicht ein­mal durch unser Argu­ment der gefähr­de­ten Pati­en­ten­si­cher­heit ließ sich der Direk­tor aus der Ruhe brin­gen. Weil Kran­ken­haus­di­rek­to­ren meist nur über sehr wenig medi­zi­ni­schen Sach­ver­stand ver­fü­gen, zucken sie nor­ma­ler­weise ein biß­chen, wenn man die Pati­en­ten­si­cher­heit ins Spiel bringt. Davor haben sie Angst. Sie haben Angst vor dem Unfall am Pati­en­ten und vor allem vor der nach­weis­ba­ren Mit­schuld am Unfall. Der Direk­tor aus dem gro­ßen Kran­ken­haus quasi nebenan winkte rou­ti­niert ab. Schließ­lich hätte er Spe­zia­lis­ten für sowas.

Böse Zun­gen behaup­ten, im all­ge­mei­nen wäre die Schlie­ßung des Labors nur der erste Schritt zur Schlie­ßung eines Kran­ken­hau­ses im Gan­zen.

Letz­ten Sonn­tag hatte ich Dienst. Und mußte fest­stel­len, daß sie schon mal unsere Blut­bank als Teil des Labors zuge­macht hat­ten. Sie, die Direk­tion. Ver­mut­lich auf Emp­feh­lung der Spe­zia­lis­ten. Das Labor funk­tio­niert noch so wie sonst, nur eben ohne Blut­bank. Statt­des­sen haben wir jetzt einen Kühl­schrank mit Null-Nega­tiv-Kon­ser­ven, fünf Stück, für den vita­len Not­fall. Und ein paar Tüten Frisch­plasma. Keine Blut­bank. Keine Mög­lich­keit, Pati­en­ten inner­halb von drei­ßig Minu­ten ihrer Blut­grup­pen­kon­stel­la­tion ent­spre­chen­des Blut zu ver­ab­rei­chen. Außer eben was von den Null-Nega­tiv-Kon­ser­ven. Das geht immer. Lei­der hat­ten die Spe­zia­lis­ten ver­säumt, den Direk­tor dar­auf­hin­zu­wei­sen, daß das medi­zi­nisch rele­vante Per­so­nal von die­sem Umstand in Kennt­nis gesetzt wer­den sollte. Recht­zei­tig. Per Mail, Rund­brief, Bespre­chung zum Bei­spiel. Nie­mand hatte letz­ten Sonn­tag gewußt, daß es schon soweit sei. Daß das Labor ganz zuma­chen würde zum Jah­res­ende und man jetzt schon mal anfan­gen würde mit der Blut­bank. Oder die, die unter­rich­tet waren, haben denen, die damit arbei­ten müs­sen, nichts davon gesagt. Das ent­spricht medi­ter­ra­ner Kom­mu­ni­ka­ti­ons-Stra­te­gie. Es wird viel gere­det, aber kein rele­van­ter Inhalt kom­mu­ni­ziert. Immer­hin fan­den sich schließ­lich einige Exem­plare einer pro­cé­dure, einer Dienst­an­wei­sung. Lieb­los redi­giert, immer­hin mit ein paar Tele­fon- und Fax­num­mern im Labor des gro­ßen Kran­ken­hau­ses quasi nebenan. Am Tele­fon mit der Blut­bank des gro­ßen Kran­ken­hau­ses nebenan kris­tal­li­sier­ten sich inter­es­sante Details her­aus. Für den lebens­be­droh­li­chen Trans­fu­si­ons-Not­fall gibt es beim Kran­ken­haus ange­stellte Fah­rer im Bereit­schafts­dienst. Die war­ten bei sich zuhause auf den Ein­satz. Das Zuhause des Fah­rers darf drei­ßig Minu­ten vom gro­ßen Kran­ken­haus nebenan ent­fernt sein. Drei­ßig Minu­ten! Unser Not­fall­fah­rer am Sonn­tag hat sein Zuhause in Hyè­res. Sonn­tags kommt es höchs­tens wäh­rend der Schul­fe­rien mal zu Staus. Oder wenn mal wie­der eine acht­los weg­ge­wor­fene Kippe den Mit­tel­strei­fen in Brand gesetzt hat. Was aber sicher zu den Even­tua­li­tä­ten gehört, wel­chen die Weis­heit der Spe­zia­lis­ten Rech­nung trägt.

Außer dem Not­fall­fah­rer des Kran­ken­hau­ses gibt es einen pri­vat­wirt­schaft­li­chen Fahr­dienst, der alle medi­zi­ni­schen Struk­tu­ren ohne eige­nes Labor im Groß­raum ver­sorgt. Der fährt seine Runde vier oder fünf Mal pro Tag. Natür­lich nur zwi­schen 7 und 17 Uhr. Bestimmt äußerst lukra­tiv. Werk­tags. Wer arbei­tet schon frei­wil­lig nachts und am Wochen­ende. Außer­halb die­ser Zei­ten wird jeder Ein­satz zum Not­fall für den Kran­ken­haus­fah­rer.

Böse Zun­gen behaup­ten, der Chef des pri­vat­wirt­schaft­li­chen Fahr­diens­tes und der Direk­tor der Kran­ken­häu­ser wür­den regel­mä­ßig gemein­sam auf dem 18-Loch-Par­cours des Golf­plat­zes bei mir im Dorf ange­trof­fen wer­den.


© Bertram Diehl, 2016. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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