Canophobie

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Meine Tochter, zehn Jahre alt, wünscht sich nichts sehnlicher als einen Hund. Mehr noch als ein Pony. Der Wunsch nach dem Pony kommt immer mal wieder, wenn die Reitstunde besonders nett war. Weniger häufig als letztes Jahr noch, als sie mit dem Reiten anfing. Mittlerweile ist die erste Euphorie vorüber. Den Wunsch nach einem Hund hingegen bekomme ich fast täglich zu hören. Seit Jahren. Sie meint das so. Sieht jeden Hund auf der Straße. Oh, guck’ mal da, ein Schäferhund! Ist der nicht süß! Oh, guck’ mal da, ein Husky! Ist der nicht süß! Sogar Dackel, Zwergpinscher oder Chihuahuas, so Sorten für Hotelerbinnen – ist der nicht süß! Wenn ich mal groß bin, kaufe ich mir einen, kündigt sie immer wieder an. Und der wohnt dann in meinem Zimmer. Sagt sie. Nur über meine Leiche, erwidere ich. Ich bin mir nicht sicher, wie meine Tochter entscheiden würde, wenn sie wählen müßte.

In früher Jugend, bei mir auf dem Dorf, durften Hunde frei rumlaufen. Auch solche von der Kategorie, die man heute als Kampfhunde bezeichnen würde. Vielleicht waren es aber auch nur Boxer, was weiß ich. Bleibend ist dieses Bild von einem zähnefletschenden, geifernden Köter unten am Baum, der nach meinen Füßen schnappt. Die gefühlte Ewigkeit, bis der Besitzer seine Bestie endlich unter Kontrolle bringt. Das nächste Mal solle ich eben besser aufpassen. Kynophobie heißt das, Angst vor Hunden. Auf dem Weg zur Arbeit, direkt nach einem Rond-point, gibt es eine Werkstatt rechts. Mit einem Hund. Einem großen Hund. Der nur auf mich zu warten scheint, wenn ich da mit dem Fahrrad ankomme, abgebremst im Kreisverkehr. Hetzt innen am Zaun längs bis zum Tor. Bellt nicht mal, das macht mir besonders Angst. Bleibt aber zum Glück auf dem Gelände des Schraubers. Auch wenn das Tor offen ist. Bisher. Man kann auch Canophobie sagen. Je nachdem, ob man’s mehr mit der griechischen oder der lateinischen Etymologie hält. Im knapp postrevolutionären, ländlichen Rumänien besuchte ich mit einem Freund mal einen Professor, dessen Job der Revolution zum Opfer gefallen war. In der Einfahrt ein Deutscher Schäferhund. An langer Kette bis zur Garage weiter hinten. Mein Freund und der Hund kannten sich. Mein Freund konnte zudem gut mit Hunden. Kynophilie vermutlich. Oder Canophilie, wie auch immer. So wie meine Tochter. Obwohl dieser Hund auch nicht bellte, hatte ich keine Angst. Er war ja angeleint. Mit engem Aktionsradius vom Tor bis zur Garage. In der Mitte hängt so eine Kette natürlich etwas durch. Der Hund hatte das verstanden, glaube ich. Vergrößerter Aktionsradius. Wenig nur, aber reichte genau bis knapp oberhalb meines Knies. Nicht gut für einen Phobiker. Zuhause riet man mir zu einem Impfzyklus, sieben Impfungen, gegen Rabies. Es hatte da, im postrevolutionären, ländlichen Rumänien, gerade erst ein paar tote Kinder wegen Tollwut nach Hundebiß gegeben. Die Hysterie paßt zum Phobiker.

Erschwerend kommt hinzu, daß ich Hunde eher ekelhaft finde. Okay. Keine Beschreibung widerlicher Details an dieser Stelle. Wahrscheinlich Teil meiner persönlichen Strategie zur Angstverarbeitung. Im Gegensatz zu Katzen. Katzen finde ich gut.  Ailurophilie. Obwohl die, ganz objektiv, natürlich auch ekelhafte Seiten haben müssen. Aber sabbern schon mal nicht. Und man muß ihre Scheiße nicht aufklauben. Diskreter eben. Und eher ungefährlich. Manche Individuen wollen eben partout nicht zwischen den Zehen der Hinterpfoten gekrault werden. Und wehren sich dann, wenn man’s trotzdem versucht. Logisch. Aber nur dann. Sonst sind Katzen absolut ungefährlich. Angst vor Katzen – absolut lächerlich!


© Bertram Diehl, 2016. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

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