Aylan

Ystävänpäivä. Festlichkeit mit vier Ä. Zufallsfund bei Wikipedia. Finnisch für Valentinstag. War letzten Sonntag. Ein Feiertag mit ausgesprochen merkantilem Hintergrund. Ein Glanzbeispiel gelungenen Marketings. Tag des Blumenhandels wäre treffender. Ehrlicher. Wollte ich gerade deswegen bewußt ausfallen lassen. Zu merkantil. Geburtstag, Hochzeitstag, Weihnachten, Ostern reichen eigentlich als Gelegenheiten konsumlastiger Sypmpathiebezeugung. Finde ich. Meine Frau gab sich dann, Sonntagmorgen, jedoch überraschend wortkarg. Kein Schmuckstück, keine Einladung ins Fünf-Gänge-Restaurant. Nicht mal Blumen. Nicht eine einzige. Mein Verweis auf die blühende Magnolie im Garten, extrafrüh dieses Jahr, konnte mich auch nicht mehr retten. Meine Frau schmollte und brach auf zu einem kleinen Halbmarathon ans Meer. Gegen Mittag sollte ich sie abholen irgendwo am Strand Richtung Lavandou.

Nach Einkäufen zur Befüllung der Kühlschränke blieb noch Zeit für einen Abstecher zum Blumenladen. Gegen meine erklärte innere Überzeugung natürlich. Machtlos aber auch gegen gelungenes Marketing und die Traurigkeit meiner Frau. Und dann das: Hochbetrieb im Blumenladen. Schlange bis auf die Straße. Ganz offensichtlich war ich nicht alleine geblieben in meiner überraschten Machtlosigkeit gegen Marketing und häusliche Enttäuschung. Manche Kunden treten mit aufwendigen Gestecken auf die Straße, andere mit einer einzelnen langstieligen Rose in Zelophan. Nur Männer. Fast nur. Kaum Frauen. Ist der Valentinstag nicht ein Fest der Liebe? Wenn schon, dann doch irgendwie wechselseitig! Blumen für alle. Die Frauen aus meinem Dorf sind vermutlich besser organisiert, was diese Festlichkeit betrifft. Haben im Vorfeld Blumen gekauft oder Süßkram. Oder rechtzeitig auf die Magnolie vor dem Schlafzimmerfenster verwiesen.

In der Wartezeit nahm ich mir vor, zuhause die historischen Hintergründe des Valentinstags zu recherchieren. Es gibt sie, historische Hintergründe. Haufenweise. Man kann sie in römischer, vorchristlicher Zeit finden. Ein Opferfest für Juno, die Göttin der Ehe und der Fürsorge. Auch das römische Fest der Lupercalien kann als Vorläufer interpretiert werden. Geht um Fruchtbarkeit. Um den 14. Februar. Das kann kein Zufall sein! Später gleich zwei heilige Valentins, einer von Rom und einer von Terni. Terni ist auch nicht weit von Rom. Starben beide den Märtyrertod unter römischem Schwert. Der von Terni am 14. Februar, 269 oder so. Der andere ein paar Jahre früher oder später. Beide begraben an der Via Flaminia. Die Legenden vermischen sich. Reliquien davon jedenfalls überall in Europa. Bis 1969 eigener Gedenktag im römischen Generalkalender. Für den aus Terni. Immerhin. Viel später historischer Hintergrund bei den Engländern. Der Valentinstag gewann dort an Popularität aufgrund des Gedichts eines Geoffrey Saucer. 14. Jahrhundert. Der hat es zwar zu einem Grab in der Westminster Abbey gebracht, nicht aber zu einem Beitrag in der wikipedia. Lediglich sein Gedicht von 1383 zur Früh-Frühlings-Fertilität von Vögeln erzielte offenbar eine nachhaltige Popularität. Damals, Mitte Februar. Mit auswandernden Engländern kam der Valentinstag nach Amerika. Und nach dem Krieg mit den GIs auch auf das europäische Festland. Wasser auf die Mühlen der darbenden Floristik- und Süßwaren-Industrie. Deutlich lukrativer als Halloween.

In der Schlange vor dem Blumenladen, unter Nieselregen, das Gefriergut im Auto mittlerweile vermutlich aufgeweicht, war ich nach zehn Minuten versucht, trotz der Traurigkeit meiner Frau meinen Protest doch nicht aufzugeben gegen sonntägliches Konsumdiktat. Vielleicht würde es ja reichen, eine der Blüten aus dem Garten in eine Vase zu stellen. Dazu ein Zweig Mimose. Als nächstes würde ich für den Tag der Frau als Tag der Familie ein offizieller Gedenktag der Vereinten Nationen am 8. März wieder in der Schlange stehen. Zum Tag des Kindes würde Toys”R”Us auch am Sonntag öffnen. Du hast doch nicht etwa den Tag des Kindes vergessen, Papa? Pablo kriegt ein Spiel für seine PS/4. Notfall-Lego für betrübtes Kind. Auch der Tag der Arbeit oder nationale Gedenktage könnte ich mir als lukratives Ziel im Visier findiger Marketingstrategen vorstellen. Millionen von Brandenburger Toren in unterschiedlichsten Ausführungen, vorwiegend made in China, könnten zum 3. Oktober in Umlauf gebracht werden. Und dies mittels eher dezenten Konsumzwangs: Hast du schon eine Quadriga für deine Schwiegermutter?

In der Schlange vor dem Blumenladen, resigniert unter Nieselregen, entging mir auch nicht der groteske Aspekt meiner Mission: Während ich hier in der Schlange um eine Hollandrose in Zellophan mindestens zehn Euro auszugeben bereit bin, vor eher läppischem Hintergrund zudem und fremdbestimmt, schwimmen Tausende von Menschen durch die winterliche Ägäis und wandern durch frostige Balkanstaaten.

Ein Tag des Flüchtlings, zum 2. September beispielsweise, ließe sich nur schwer vermarkten.


© Bertram Diehl, 2016. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

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