Castrop-Rauxel

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Bigaradier klein

Worte sind wie Laub, wo sie im Übermaß sind, findet man selten Früchte darunter. Anton Kner

Für meinen Schwie­ger­vater stellt sein Fax­gerät das Maximum an tele­kom­mu­ni­ka­tiver Hoch­tech­no­logie im Haus­halt dar. Es gibt kein Internet bei ihm. Keinen Com­puter. Von einem Handy ganz zu schweigen. Aus Über­zeu­gung. Und der Angst vor erra­ti­scher Dys­funk­tion und damit ver­bun­denen kryp­ti­schen Feh­ler­mel­dungen. Erra­tisch dys­funk­tio­nelle Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­no­logie kennt er nur aus seinem Umfeld. Du hast kein was? Kein Netz? Nimm doch das Telefon! Briefe schreibt er auf einer mecha­ni­schen Triumph-Adler aus den acht­ziger Jahren. Meine Frau wünschte, ihn nichts­des­to­trotz an meinen Texten aus dem Blog teil­haben zu lassen. Ein Online-Buchdrucker in Berlin gewährt ab 3 (drei) Exem­plaren 10 (zehn) Pro­zent Rabatt. Konnte der Schwabe in mir nicht wider­stehen. Narkoseprimat steht vorne drauf als Bezug auf einen Beitrag aus 2015 und mein Name. Dazu das Bild einer Mimosenblüte. Paßt zu Südfrankreich. Taschenbuchformat. Mein Schwiegervater bekam sein Exemplar, meine Eltern eins und die Redakteurin des Upper-Class-Magazins in Nizza. Die restlichen bis auf ein Exemplar gingen später auch nach Schleswig-Holstein. Dort gibt es im Umfeld meines Schwiegervaters noch mehr Senioren, die kein Internet haben.

Er liest jeden Tag darin. Sagt er. Meine Eltern auch. Sagen sie. Sie lesen das wohl so, wie man den Sinnspruch aus einem Kalender liest.

Gesegnet seien jene, die nichts zu sagen haben und trotzdem den Mund halten. Oscar Wilde

Vor kurzem empfahl mir amazon – warum auch immer – How to be German in 50 easy steps von Adam Fletcher. Als Taschenbuch kompakte 144 Seiten. Das Ebook für 3,99 €. Deutsche aus der Sicht eines eingewanderten Engländers. Leipzig oder Berlin, glaube ich. Fünfzig Kapitel. Es fängt an mit Hausschuhen. Deutsche haben Angst vor dem kalten Fußboden. Deutsche versichern alles und bleiben an roten Ampeln stehen. Auch drei Uhr nachts, ganz alleine. Deutsche bringen immer Kartoffelsalat in Tupperdosen mit und sehen “Tatort”, ohne zu wissen, warum eigentlich. Sie beziehen ihr Weltbild aus SPIEGEL-ONLINE und verzichten auf diplomatische Verbrämung ihrer Wahrheiten. Das kann man ganz angenehm über ein paar Kapitel lesen. Der Deutsche ist im Tenor immer irgendwie hölzern, eher uncharmant und vorwiegend psychorigide. Ab vier Kapiteln wird das anstrengend.

Wie ein Kalender mit Sinnsprüchen für jeden Tag. Ein Sinnspruch pro Tag reicht. Oder der Narkoseprimat. Ein paar Kapitel pro Tag reichen.

Meine Eltern schlugen vor, die Veröffentlichtung über einen Verlag zu versuchen. Warum auch immer. Weil man vielleicht ein Buch gedruckt haben muß im Leben und einen Baum gepflanzt. Ich habe einen Orangenbaum. Das reicht. Mein Vater würde sich auch um das Marketing kümmern wollen. Mußte ich dankend ablehnen, besser nicht. Nicht nur, aber auch wegen der Spaßkomponente, die ich mir erhalten möchte. Manchmal gerate ich gefühlt schon unter Druck, wenn mir wieder zwei Wochen nichts eingefallen ist. Wenn ich mehr als eine Woche nichts schreibe, guckt außer meiner Frau keiner mehr. Dieser Druck reicht mir schon. Die Spaßkompentene leidet dann. Verlage haben in erster Linie Ansprüche. Und denken zuallerletzt an meinen Spaß. Ein Schulfreund meiner Frau lebt vom Krimischreiben. Nicht schlecht mutmaßlich. Muß aber auch Leseabende in irgendwelchen Gemeindezentren mitmachen und Signierstunden in Buchhandlungen bestreiten. Leseabende! Signierstunden! In Osnabrück. Zum Beispiel. Oder Oer-Erkenschwick. Das muß man wollen, um es gut zu finden.

Nichts bewahrt uns so gründlich vor Illusionen wie jeden Morgen ein Blick in den Spiegel. Aldous Huxley

Ich muß nicht davon leben. Es geht nicht um Geld. Eine Frage auch des Potentials. Des Potentials und der Illusionen wegen, die nicht gerechtfertigt wären. Der Druck bei einem Verlag macht ein Buch nicht zum Bestseller. Marketing ist mühselig. Wenn die “Zeit” mehr von mir wollte, würde ich auch für die “Zeit” schreiben. Meine Inhalte reichen nicht für die Zeit. Reichen auch nicht für eine auflagenstarke Trilogie. Wenn ich den Massengeschmack so zu treffen wüßte wie Joanne K. Rowling oder Suzanne Collins, würde ich sieben Bände Harry Potter schreiben oder ein paar Trilogien. Mein Verlag würde sich um die Übersetzungen ins Finnische und Rumänische kümmern und die Filmrechte nach Hollywood verkaufen. Zur Premiere würde meine Agentin ein paar Suites in Cannes buchen. Einschließlich Anreise für Familienangehörige. Ich würde später Kapitel meiner Wahl lesen und Bücher signieren. Dann doch. In der Stadthalle von Waldenbuch meinetwegen. Na ja, auch Schwäbisch Hall. Vielleicht sogar Castrop-Rauxel.

Bis dahin mache ich eben noch Narkosen.


© Bertram Diehl, 2016. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

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