Central Park

Mein Exem­plar der "Riviera – Das Maga­zin", eine regio­nale, deutsch­spra­chige Monats­schrift, kommt zum Monats­ende in einem wei­ßen Hart­pa­pier-Umschlag, ist immer ein biß­chen zer­knit­tert. Ist mit fast DIN A 4 eben einen Hauch zu groß für den gän­gi­gen Brief­kas­ten­schlitz. Mit im Umschlag, als Bei­lage, etwas klei­ner, des­we­gen wohl auch nicht geknit­tert, im August die Bro­schüre "Pri­vate Resi­den­ces" einer Immo­bi­li­en­agen­tur. Hoch­glanz, viel blauer Him­mel, viel blaues Was­ser. Hoch­glanz-Immo­bi­lien, immer mit Pool, meist mit "fan­tastic views" aufs Meer. Ich ver­su­che, mir die Ziel­gruppe die­ser Bro­schüre vor­zu­stel­len. "Riviera – Das Maga­zin" hatte ich bis­lang nur im deut­schen Gene­ral­kon­su­lat von Mar­seille gese­hen. Im War­te­zim­mer vor Per­so­nal hin­ter Pan­zer­glas und Gegen­sprech­an­lage. In die­ses War­te­zim­mer kommt man als Nor­mal­mensch eigent­lich nur, wenn man sei­nen Rei­se­pass erneu­ern möchte. Tou­ris­ten stran­den hier, wenn ihnen das Auto geklaut wor­den ist samt Foto­ap­pa­rat und Kre­dit­karte. Und ihnen nicht mal der ADAC hilft. Das ist eher nicht die Kli­en­tel für die Zweit­re­si­denz im min­des­tens sie­ben­stel­li­gen Eurobe­reich. Wahr­schein­lich hat "Riviera – Das Maga­zin" Abon­nen­ten im Hin­ter­land der Côte d'Azur oder in Le Lavan­dou. Deut­sche Rent­ner, die auf das Schnäpp­chen mit dem rich­ti­gem Wahn­sinns-Meer­blick lau­ern.

Auch im Heft selbst geht es gerne mal um Immo­bi­lien. Dies­mal das rie­sige Anwe­sen von Johnny Depp. Ein gan­zes Dorf. Der Bericht dar­über fin­det sich auf Seite 13. Wurde in Zusam­men­ar­beit mit einem Herrn aus der Immo­b­li­en­bran­che ver­fasst. 23 Mil­lio­nen. Keine vue mer aller­dings. Schade bei dem Preis. Was will man mit den vie­len Gebäu­den anfan­gen, wenn man mit sei­nen zwei­hun­dert bes­ten Freun­den nicht ein Glas Rosé mit Sicht bis Kor­sika trin­ken kann? Wozu braucht man die gan­zen Hektar Land, wenn man nichts von Oli­ven- oder Wein­an­bau ver­steht? Wahr­schein­lich durfte Aila, die Redak­teu­rin, das Anwe­sen immer­hin mal besich­ti­gen. VIP-Luft schnup­pern mit dem Herrn aus der Immo­bi­li­en­bran­che.

Aila ist laut Impres­sum über­haupt "die Redak­tion". Sie gehört in der Zei­tung zu den Weni­gen, die wirk­lich arbei­ten. Oder die Ande­ren waren für die August-Aus­gabe gerade im Urlaub. Aila hat den Löwen­an­teil an der Arbeit im Sinne von inhalt­li­chem Out­put, dem Haupt­an­lie­gen eines Druck­me­di­ums. Ohne die Kol­le­gen aus dem Mar­ke­ting, dem Ver­trieb, dem Sekre­ta­riat ginge natür­lich gar nichts. Das darf nicht unter­schätzt wer­den. So wie Chir­ur­gen ohne Anäs­the­sie. Geht auch gar nicht. Frau Hall ist die Chef­re­dak­teu­rin. Frau Hall muß das Edi­to­rial schrei­ben. Vom Umzug der Zei­tung berich­ten, einer Namens­än­de­rung des Maga­zins "aus recht­li­chen Grün­den", Modi­fi­ka­tio­nen unter ande­rem im Lay­out. Es klingt ein biß­chen wie eine Recht­fer­ti­gung. Sech­zehn Zei­len. Außer­dem war die Chef­re­dak­teu­rin schön essen. Fisch. In einem tra­di­ti­ons­rei­chen Restau­rant, in dem auch schon Pablo Picasso dinierte und die Bar­dot. Frü­her mal ein Insi­der­tipp. Heute geho­bene Preis­klasse. Ein paar Worte noch über Fürst Albert von Monaco und dem präch­ti­gen Gedei­hen der Wirt­schaft im Fel­sen­staat sowie dem der klei­nen Zwil­linge. Die schla­fen übri­gens durch. Immer­hin sechs bis sie­ben Stun­den. Seite sie­ben. Das war's. Den redak­tio­nel­len Rest machen Aila und ihre Prak­ti­kan­tin. Außer ihrem Bericht über das Anwe­sen von Johnny Depp fin­det sich ein Inter­view mit einem deut­schen Fern­seh-VIP, ein Bericht über die Aus­wil­de­rung von Bart­gei­ern, Lieb­lings­strände mit Öko-Prä­di­kat. Alles von Aila. Dann kommt noch was Regio­nal­kul­tur mit einem Ver­an­stal­tungs­ka­len­der, Kurz­be­richte, "Neues aus dem Süden". Klein­an­zei­gen, Immo­bi­lien noch, Stel­len­ge­su­che, Impres­sum, Leser­briefe. Seite 28, zwei­spal­tig mit Por­trät, "Ehren­wort". Das ist von mir. Auch das redak­tio­nelle Fei­len daran gehört mei­nes Wis­sens zu Ailas Auf­ga­ben. Das Fei­len hat sie dies­mal viel­leicht der Prak­ti­kan­tin über­las­sen. Mit der Vor­gabe, nicht mehr als ein­tau­send­zwei­hun­dert Worte zuzu­las­sen. Und dann "abge­nickt". Abni­cken scheint so ein Wort zu sein aus dem Jar­gon für Redak­teure. Habe ich schon öfter gehört. Ich soll meine nach­ge­schlif­fe­nen Bei­träge immer "abni­cken". Soll wohl auch zu ver­ste­hen geben, daß der bear­bei­tende Redak­teur keine Lust hat, nach sei­nem per­sön­li­chen Fein­schliff noch­mal über die eine oder andere Wort­wahl oder gar Pas­sage nach­zu­ver­han­deln. Manch­mal, eigent­lich meis­tens, reicht es bei Aila ohne­hin nicht zum Abni­cken las­sen. Wegen der gan­zen ande­ren Jobs wohl, die noch erle­digt wer­den müs­sen. Trotz Prak­ti­kan­tin. Egal.

Das güns­tigste Objekt der Bei­lage, ist übri­gens ein Appar­te­ment für 1.180.000 € in Ville­fran­che-sur-Mer, öst­lich von Nizza, 87 Qua­drat­me­ter, Blick auf den Pool der Anlage und selbst­ver­ständ­lich das Meer. Das könnte was sein für ein Rent­ner-Ehe­paar. Würde end­lich den Auf­stieg aus Le Lavan­dou ermög­li­chen. Platz für Kin­der und Enkel im zwei­ten Schlaf­zim­mer. Groß­zü­gi­ger, anspruchs­vol­ler, auf mehr Gäste aus­ge­rich­tet ist das Anwe­sen mit acht Schlaf­zim­mern auf 650 Qua­drat­me­tern Wohn­flä­che in Saint-Jean-Cap-Fer­rat, einer exklu­si­ven Halb­in­sel im Osten Niz­zas. Bes­sere Lage noch als Ville­fran­che. Nur zwei­tau­send Qua­drat­me­ter Grund. Dafür direk­ter Zugang zum Meer. 22 Mil­lio­nen.

Das ist was für die, die im Früh­jahr mit Blick über den Cen­tral Park resi­die­ren.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

bertram@​diehl.​fr


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