Xylella fastidiosa
Meine Schwägerin sagt, mit großem Bedauern, ohne die Palmen an der Terrasse wäre unser Anwesen um eine wesentliche Feature ärmer. Sie sagt Feature, meine Schwägerin. Wesentliche Feature. Sie ist Chairman eines international ausgerichteten Unternehmens für Unified Communications. Schwäbischer Mittelstand. Da redet man eben so. Im internationalen Unternehmen. Feature. Auch in Schwaben. Jetzt ist eine wesentliche Feature unseres Anwesens weg. Die Palmen-Feature. Letzte Woche fiel die letzte unserer Palmen. Opfer eines Käfers. Rhynchophorus ferrugineus. Roter Palmrüssler. Charançon rouge des Palmiers.
Der Käfer hat das Internationale seiner Ausrichtung mit meiner Schwägerin gemeinsam. Er seinerseits kommt ursprünglich aus Südostasien. Dort findet seine Larve – eine kleinfingerdicke Made, der Sagowurm – als eiweißreiches Nahrungsmittel Verwendung. Gegrillt soll der Geschmack an den von Räucherspeck erinnern. Habe ich nicht verifiziert. Obwohl ich bestimmt zehn Kilogramm davon aus unseren Palmen hätte extrahieren können. Mit Palmenexporten gelangte der Palmrüssler über den Mittleren Osten (1980) nach ganz Nordafrika (ab 1990). Von Ägypten bis Marokko. Von dort – wieder mit Exporten von Palmen – weiter in europäische Mittelmeerländer. Spanien 1994, Athen im Rahmen von Aufforstungen anläßlich der Olympischen Spiele 2004. In Europa spezialisierte sich der Käfer auf die Kanarische Dattelpalme (Phoenix canariensis). Das ist die Palmensorte, die auch hier so gerne gepflanzt wird, weil sie so groß und dekorativ ist. 2006 der erste Nachweis in Sanary. 2012 in Monaco. Mein Belegexemplar stammt aus dem Jahr 2014. Der Befall der Palme wird erst in einem fortgeschrittenen Stadium sichtbar. Trauriges Bild. Nichts mehr hilft dann. Nur umsägen, abräumen.
Zum Glück gibt es um unser Anwesen noch andere Palmensorten. Aber eben keine Phoenix mehr. Zur klassischen Subtropen-Feature würde eben die Phoenix gehören. So wie man sich sogar als Mitteleuropäer an den immerblauen Himmel gewöhnt, kann man sich auch an das Fehlen der Phoenix gewöhnen, versuchte ich meine Schwägerin zu trösten. Mehr Licht auf der Terrasse jetzt. Und als mediterrane Feature bleibt ja immerhin noch die Zikade.
Und überall die Ameise. Die Argentinische Ameise (Linepithema humile). Fühlt sich auch sehr wohl bei uns. In den Subtropen im allgemeinen. Aber auch in Schultaschen, Küchenelementen und sogar Autos. Sie findet jeden Krümel, jeden vergessenen Kaugummi. Und hat dann sehr viele hilfsbereite Freundinnen. Kommt aus Südamerika, Argentinien eben. Zwischen 1895 und 1906 – je nach Quelle – erstmalig in Südeuropa. Inzwischen hat sie sich in einer Superkolonie längs der Küste organisiert. Über sechstausend Kilometer von Italien bis Galizien. Die englischsprachige wikipedia schreibt von weiteren Superkolonien in Kalifornien und Japan. Globalisierung eines Insekts. Davon träumt das international orientierte Unternehmen meiner Schwägerin noch. Von der Globalisierung.
Nicht zu vergessen die Termiten. Termiten bei uns im Garten! Sind Termiten nicht was für afrikanische und australische Wüsten? In riesigen Kegeln, weitläufigen unterirdischen Systemen? Bei uns im Garten sind sie weitaus weniger spektakulär. Keine riesigen Kegel. Man stößt nur zufällig darauf. Es gibt zwei Arten davon. Reticulitermes lucifugus und Kalotermes flavicollis. Aus Afrika und Nordamerika über Spanien bis in die Provence. Eine lichtscheue und eine gelbhälsige Termite. Die lichtscheue ist die, die sich durch den Untergrund in antike Bibliotheken frißt und Häuser zum Einsturz bringt. Die andere lebt in kleinen Kolonien von totem Holz in Bäumen. Französisch richtig übrigens le termite. Männlich. Weiß aber auch nur eine Minderheit. Das “le” entspricht dabei sogar der biologischen Realität. Arbeiter und Krieger sind – anders als bei Bienen und Ameisen zum Beispiel – männlich.
Zur Tropen-Feature können wir, natürlich, auch Mücken beisteuern. Verschiedene Arten. Die Gemeine Stechmücke oder Nördliche Hausmücke (Culex pipiens) sowieso. Das ist die, die es auch zuhause gibt. Wir haben aber auch die Asiatische Tigermücke (Stegomyia albopicta oder Aedes albopictus). Das hat echten Tropen-Charme. Aus Südostasien, Bengalen. Siebziger Jahre Albanien, dann Italien, seit 1999 Südfrankreich. Kann tropische Viren übertragen: Chikungunya- und Denguefieber – Wenn das mal keine Tropen-Feature ist! Eine Frage der Zeit, bis man sich bei uns auf der Terrasse Malaria holen kann.
Ich sollte meiner Schwägerin gegenüber mal diese Vielfalt an tropischen Features betonen. Es müssen ja nicht immer große Palmen sein!
Und dabei habe ich eine ganze Reihe anderer immigrierter Exoten noch nicht weiter erwähnt. Die Kastaniengallwespe (Dryocosmus kiruphilus) zum Beispiel. Aus Süd-China. Verursacht der heimischen Esskastanienindustrie herbe Verluste. Die Varroamilbe (Varroa destructor). Dezimiert Bienenvölker. Aus Südostasien. Oder Paysandisia archon. Papillon des palmiers, ein riesiger, tagaktiver Nachtfalter. Aus Südamerika seit Anfang der neunziger Jahre. Der wird über kurz oder lang die Palmen fressen, die der Käfer nicht geschafft hat. Habe ich selbst noch nicht gesehen. Schließlich das Feuerbakterium (Xylella fastidiosa). Aus Nord- und Lateinamerika. Riesige Flächen uralter Bestände an Olivenbäumen fallen ihr zum Opfer. Eine heimische Zikadenart hilft bei der Verbreitung. Von Apulien aus in Expansion begriffen. Mitte Oktober in Nizza. Nichts heilt. Nur umsägen, abräumen. Wie bei den Palmen.
Und wahrscheinlich ist das nur die Spitze eines Eisbergs tropischer Features in Südfrankreich.
© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.
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