Mexique

 

Mexique 001

Wir sind gleich für Sie da.

Eine weibliche Stimme untermalt von Digitalmusik. Ansagen im Minutentakt. Ich befinde mich in einer Warteschleife der Deutschen Post. Die Sendungsverfolgung bei DHL. Mein Schwiegervater wartet auf den Weihnachtskalender mit Bildern seiner Enkel. Kriegt er jedes Jahr. Zwölf Bilder in Großformat. Individuelle Maßanfertigung in Handarbeit. Jeder Tag handgemalt. Unter Berücksichtigung der Feiertage in Schleswig-Holstein. Und nun ist Weihnachten seit fast einer Woche vorbei und vom Kalender keine Spur. Nicht bei den Nachbarn, nicht mal ein Benachrichtigungsschein Abholung nicht vor morgen Nachmittag ab 15 Uhr oder so. Bei colissimo.fr heißt es seit dem 19. Dezember “Votre colis a quitté le pays d’origine”. Der Kalender hat Frankreich verlassen. Ab jetzt ist DHL zuständig. Wer sonst?

Nutzen Sie jederzeit einfach und bequem alle Services online – unter deutschepost.de.

Zur Abwechslung eine männliche Stimme. So richtig gerne spricht man im Callcenter bei der Deutschen Post also nicht mit dem Kunden. Versuchen Sie Ihr Glück doch lieber online. Selbst schuld, wenn Sie seit geschlagenen zwanzig Minuten Computermusik hören müssen. Habe ich natürlich vorab gemacht. Ich habe den Online-Service der Sendungsverfolgung genutzt. Meine französische Paketnummer ist da leider unbekannt. Kann ja eigentlich nicht sein. In Deutschland gehen keine Pakete verloren. Nicht in Deutschland. Ich würde mein Leid nun so gerne einem Kundenberater klagen. Vielleicht hat ein menschlicher Ansprechpartner Zugang zu mehr Informationen.

Der nächste freie Kundenberater ist bereits für sie reserviert.

Das ist schön. Lange kann es ja nun nicht mehr dauern. Meine Eltern haben auch einen Kalender zu Weihnachten bekommen. Auch mit großformatigen Fotos der Enkel. Auch eine individuelle Maßanfertigung in Handarbeit. Jeder Tag handgemalt. Unter Berücksichtigung der Feiertage in Baden-Württemberg. colissimo.fr wußte drei Tage später zu vermelden: “Votre colis est livré”. Das Paket ist zugestellt. Bei Portokosten von knapp fünfundzwanzig Euro hätte ich auch nichts anderes erwartet. Ich würde zu gerne wissen, was die Deutsche Post solange mit dem Kalender an den Schwiegervater macht.

Bitte haben Sie einen Augenblick Geduld.

Habe ich. Was bleibt mir Anderes übrig. Vielleicht hätte ich doch der Anregung meiner Frau folgen sollen und mein Glück im lokalen Service-Center der Post versuchen. Womöglich wäre ich da schneller zum Ziel gekommen. Immerhin profitiert die lokale Agentur der Post von einer großzügigen vorweihnachtlichen Zuwendung unsererseits. Für den Post-Kalender. Jedes Jahr Anfang Dezember klingelt die Zustellerin. Meine Tochter hat sich die Version mit Pferdebildern ausgesucht. Feuerwehr und Müllabfuhr machen auch die Runde. Bieten aber keine Auswahl. Profitieren trotzdem von einer großzügigen Zuwendung. Vor ein paar Jahren geriet mitten im Hochsommer die Wiese nebenan in Brand. Die ursächliche Beteiligung eines deutlich minderjährigen Familienangehörigen war nicht sicher auszuschließen. Die Feuerwehr war mit zwei Löschzügen vorgefahren, noch bevor die anliegenden Hecken ernsthaft Feuer fangen konnten. Seitdem großzügig.

Einen kurzen Moment noch.

Kurz ist gelogen. Das höre ich nun bestimmt schon zum dritten Mal. Meine Tochter fühlt sich durch das Gedudel aus meinem Telefon gestört. Redest du immer noch mit der Post?

Wir verbinden Sie schnellstmöglich.

Die Telefon-Informatiker bei der Deutschen Post haben sich wirklich Mühe gegeben. Mit variierenden Aussagen vom Band gelingt es ihnen, den Eindruck zu erwecken, man würde in der Schlange vorrücken. Über dem Schalter eine Anzeige. 453. Nur noch dreizehn Kunden bis zu meiner Nummer.

In wenigen Augenblicken sind wir für Sie da.

Schade nur, daß die Augenblicke bei DHL so lang sind.

Guten Tag, mein Name ist Michael, was kann ich für Sie tun? Der ist echt. Michael hört sich mein Anliegen an. Fragt mich nach meiner Paketnummer. Tippt sie in seinen Computer. Täte ihm leid, aber diese Nummer sei dem System unbekannt. Auch in einem zweiten Versuch kein Resultat. Ich solle doch mal beim französischen Anbieter nachforschen. Oder meine Nummer einfach in ein paar Tagen nochmal selbst ins System eingeben. Toller Vorschlag! Michael gibt sich zurückhaltend. Hat angeblich keinen Zugang zu weiteren Informationen den Verbleib meines Kalenders betreffend. Ich finde Michael insuffizient. Ich finde, er könnte sich etwas mehr Mühe geben. Mehr Empathie zeigen zumindest. Das kann doch nicht sein, daß der Kalender in Deutschland einfach verschwindet! Michael hat wohl keine Vorstellung davon, wieviel Arbeit dieser Kalender gemacht hat! Ich kann meine Enttäuschung nicht verhehlen. Er bedankt sich trotzdem für meinen Anruf und wünscht mir einen schönen Tag.

Veuillez patienter, nous vous mettons en contact avec un conseiller clientèle.

Die Hotline bei colissimo.fr. Auch Musik. Auch die Aussicht auf den Kontakt mit einem Berater. Aber keine glaubhafte Inszenierung von Bewegung in der Wartschlange. Warten und Hoffen. Knappe zehn Minuten. Die Stimme, weiblich, findet mein Paket. Sie weiß zu bestätigen, daß der Kalender für den Schwiegervater Frankreich verlassen hat. Von der Post in meinem Dorf wurde er nach Marseille gebracht. Was an sich schon ungewöhnlich sei, denn Pakete nach Deutschland würden über Lyon abgewickelt werden. Normalement. Sagt die Stimme. Warum mein Kalender für den Schwiegervater in Deutschland nun aber nach Mexiko geflogen worden wäre, verstünde sie auch nicht. Täte ihr aber leid. Mexiko? Oui, au Mexique. Mein Nachforschungsauftrag bekommt eine Nummer. Wenn ich innerhalb von 40 (vierzig!) Tagen nichts erfahren würde, keine Mail, kein Brief, kein Anruf, solle ich mich wieder melden. Mit der Nummer. Die Gebühren für einen neuen Versand en Allemagne würden mir in jedem Fall erstattet werden.

Correos de México, Track & Trace, 22. Dezember 2015, 09:42:00 h: En tránsito hacia destino. Mexiko. Tatsächlich. Da ist der Kalender. In Mexiko. Auf dem Weg zum Ziel.

30.12.2015, 19:43 Uhr: Die Sendung ist im Zielland eingetroffen. Nächster Schritt: Die Sendung wird zum Zustell-Depot transportiert. Schreibt DHL. Der Kalender ist zurück aus Mexiko!

Wäre Michael nicht so schwer zu erreichen, würde ich ihn nochmal anrufen.

 


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

bertram@diehl.fr