Küchenaktivitäten

Wochen­ende im Kran­ken­haus. Dienst. Ein biß­chen so wie im Puff. Prä­senz, Lächeln so gut es geht, Hin­hal­ten, wenn es soweit ist, War­ten, bis es vor­bei ist. Zwei­mal Ortho­pä­die direkt nach dem Früh­stück. Ein Hand­ge­lenk, ein Ober­schen­kel. Mit dem ita­lie­ni­schen Kol­le­gen Marco R.. Mag ich nicht so gerne, weil er mit der Anäs­the­sie sel­ten direkt spricht, son­dern vor­zugs­weise über die Schwes­tern oder, schlim­mer noch, über die Zen­trale. Dok­tor R. ope­riert ein Hand­ge­lenk um zehn Uhr. Aha. Ich finde, sowas sollte direkt bespro­chen wer­den. Zwi­schen Kol­le­gen. Die Schwes­tern fin­den ihn toll, mit sei­nem schwe­ren ita­lie­ni­schen Akzent, dem rol­len­den R. Und behaup­ten, er sähe so gut aus. Sooo gut! Viel­leicht hal­ten sie des­we­gen, weil sie ihn so schön, sooo schön fin­den, sei­nen Akzent auch so gut aus. Oder umge­kehrt. Der Akzent mit den rol­len­den Rs läßt ihn gut aus­se­hen in Schwes­tern­au­gen. Wer weiß das schon so genau? Kann man Schwes­tern wirk­lich ver­ste­hen? Frauen? Wie wirkt das rol­lende R auf Frauen? Viel­leicht auch bin ich ein­fach nur eifer­süch­tig. Marco R. ist immer­hin gut fünf­zehn Jahre jün­ger als ich. Und Chir­urg eben. Dazu laut eige­nen Anga­ben durch­trai­nier­ter Sport­ler. Beim letz­ten regio­na­len Tri­ath­lon kam er auf eine erwäh­nens­werte Pla­zie­rung. Angeb­lich. Wobei ein ech­ter Macho natür­lich auch zu hem­mungs­lo­ser Kor­rek­tur des Selbst­bil­des nei­gen mag.

Zwi­schen­durch mußte ich die Schwes­tern mit Marco im OP alleine las­sen, um andere Pati­en­ten auf den Sta­tio­nen zu prä­me­di­zie­ren. Ortho­pä­die für Mon­tag und zwei Gal­len. Danach kur­zer Abste­cher in die Geburts­hilfe. Mache ich immer, sehen, wer da ist. Lae­ti­tia war da und Magali. Und eine Blonde, die mich schon kannte, ich mich aber nicht an sie erin­nern konnte. Auch dies­mal habe ich ihren Namen gleich wie­der ver­ges­sen. Pau­line viel­leicht. Wird trotz­dem geküßt. Wenn man eine küs­sen will in einer Gruppe, muß man auch die ande­ren küs­sen. Egal. Lae­ti­tia saß mit ihren Kol­le­gin­nen beim Mit­tag­essen. Des­sert, Joghurt, Obst. Die saßen da also schon eine Weile. Gibt's was bei euch? Eine Erst­ge­bä­rende unter Beob­ach­tung. Ein biß­chen Wehen. Nach Irgend­was zur Wehen­ein­lei­tung. Bis spä­ter viel­leicht. Und guten Appe­tit noch.

Cha­dia B. ist die dienst­ha­bende Gynä­ko­lo­gin. Ihr Gatte, le doc­teur F., ist auch Gynä­ko­loge. Den kenne von frü­her aus dem Kran­ken­haus in Tou­lon. Ein Meis­ter der expe­ri­men­tel­len Laparo­sko­pie. Mini­mal inva­siv, maxi­mal okkult. So einer. Sprit­zende Blu­tung an der Ova­ri­al­zyste. Und hart­nä­ckige Ver­su­che, die kleine, böse Arte­rie in einem knö­chel­tie­fen Teich hell­ro­ten Bluts zu fin­den. Es gibt ja auch Lot­to­ge­win­ner. Kann ja gut­ge­hen. Bis der Sau­ger voll ist. Und der Anäs­the­sist wegen der Alarme auf sei­nem Moni­tor auf­wacht, weil der Blut­druck der Pati­en­tin weg ist. Und laut nach Blut­kon­ser­ven schreit. Und Plasma. Und all dem, was man im hämor­rha­gi­schen Schock halt so braucht. Ist mir ein­mal pas­siert. Danach durfte Dok­tor F. nicht mehr ope­rie­ren ohne einen Vor­rat von vier Tüten Blut im Kühl­schrank. Und wurde im lei­ses­ten Ansatz zu okkul­tem Ader­lass ange­brüllt. Cha­dia B. hat nach mei­ner Zeit in Tou­lon lange auch dort gear­bei­tet. Jetzt ist sie bei uns. Meine Frau hat den direk­ten Ver­gleich. Ein biß­chen bes­ser als ihr Mann, sagt sie. Nicht viel. Ein Kai­ser­schnitt dau­ert auch mal neun­zig Minu­ten. Neu­lich ließ sie bei uns im Kreiß­saal eine Frau mit totem Kind im Bauch, sechs­ter Monat oder so, fast ver­blu­ten. Die Blut­ge­rin­nung kaum mehr meß­bar und das Hämo­glo­bin von knapp vier­zehn auf fünf Komma drei. Ob es da nicht alter­na­tive Lösun­gen gege­ben hätte? Würde ich so als unbe­frie­di­gend emp­fin­den. Wagte ich anzu­mer­ken. Wie ich denn dazu käme, in die­sem Ton mit ihr zu reden?

Seit­dem würde ich unser Ver­hält­nis als getrübt bezeich­nen.

Fünf Minu­ten, na gut, gerade mal zehn Minu­ten nach mei­nem Besuch im Kreiß­saal, die Heb­am­men in aller Ruhe beim Des­sert, 12:58 Uhr, rief mich Magali an, die Heb­amme. Cha­dia will einen Not­fall­kai­ser­schnitt. Code rouge. Wow! Warum das denn? Gerade war doch noch alles schön. Wegen unschö­nen Rhyth­mus', sagt Magali. Und retro­pla­zen­tä­ren Hämo­toms. Retro­pla­zen­tä­res Häma­tom! Kann man sowas im CTG erken­nen? Nach drei kon­trak­ti­ons­syn­chro­nen Ver­lang­sa­mun­gen im kind­li­chen Rhyth­mus? Von 120 auf 105? Gerade mal als Delle in der Kurve zu erken­nen. Not­fall­kai­ser­schnitt! Ist das glaub­haft? Nach drei Minu­ten im Kreiß­saal eine vitale Indi­ka­tion stel­len kön­nen? Aus dem CTG? Von 120 auf 105? Ob ich denn noch Zeit hätte, eine Spi­nale zu ste­chen? Wenn ich nicht län­ger brau­chen würde als fünf­zehn Minu­ten. Aha. Ist das kohä­rent? Glaub­haft? Retro­pla­zen­tä­res Häma­tom, ist das nicht eine Frage von eini­gen weni­gen Minu­ten? Ist das nicht der Kai­ser­schnitt im Bett, auf dem Flur, sonstwo? 13:34 Uhr war das Kind da. Ein Junge. Nicht wirk­lich gut. APGAR vier viel­leicht. Hatte auch zwei Nabel­schnur­schlei­fen um den Hals. Hätte man sicher frü­her oder spä­ter per Kai­ser­schnitt holen müs­sen. Als Schein-Not­fall aber? Unter pla­ka­ti­ver Dia­gnose?

Ich glaube, Cha­dia B. hat sich beim Des­sert mit ihrem Mann doc­teur F. in die Haare bekom­men. Beim Des­sert spä­tes­tens, viel­leicht vor­her schon. Küchen­ak­ti­vi­tä­ten kön­nen kon­ju­gale Span­nun­gen dra­ma­tisch akzen­tu­ie­ren. Oder die Kin­der sind vor dem Des­sert vom Tisch auf­ge­stan­den. Geht nicht in Frank­reich. Das alleine legi­ti­miert schon einen Wut­an­fall. Viel­leicht hat Dok­tor F. die gemein­sa­men Kin­der in Schutz genom­men. Geht erst recht nicht, wie soll denn so Erzie­hung funk­tio­nie­ren? Wut­an­fall, Abgang. Ich würde in der cho­le­ri­schen Krise ver­mut­lich Tel­ler an die Wand wer­fen oder Türen ein­tre­ten. Schlimms­ten­falls. Bei Cha­dia B. muß es eben ein Kai­ser­schnitt sein. Dar­auf kommt es dann auch nicht mehr an. Auch gut.

Danach Pause bis fünf, weil Mar­cos weib­li­che Fans essen wol­len. Essen geht nicht unter zwei Stun­den. Nicht in Frank­reich. Plus Sieste. Um fünf noch ein kaput­ter Ober­schen­kel.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

bertram@​diehl.​fr


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