Kollateraltröpfchen

7. März 2015 Von Alleinerzieher

Hallo Herr Redak­teur!

Ges­tern waren wir in der Oper von Tou­lon, meine Frau und ich. Wir haben Con­tes d'Hoffmann – Hoff­manns Erzäh­lun­gen – von Jac­ques Offen­bach gese­hen und ich mußte an Sie den­ken. Nein, nicht wirk­lich an Sie direkt, son­dern an ein Inter­view in ZEIT ONLINE. Herr Dasch­ner wurde inter­viewt von Nicola Meier viel­leicht haben Sie es ja selbst gele­sen. Herr Dasch­ner ist ein alter Bekann­ter für mich. In mei­nen jun­gen Jah­ren im Beruf war er der Spe­zia­list der Hygiene im all­ge­mei­nen und der Anti­bio­the­ra­pie im Spe­zi­el­len. Als AiP hatte ich ihn immer in der Kit­tel­ta­sche. Anti­bio­tika am Kran­ken­bett. Und offen­bar ist er immer noch der Spe­zia­list.

Ges­tern in der Oper mußte ich an die­ses Inter­view den­ken. Was Hän­de­wa­schen angeht, ist der Mann ein Fer­kel. Sagt Herr Dasch­ner.

Im Rah­men unse­res Abon­ne­ments sit­zen wir im Par­kett. Das ist fast so wie im Kino. Man kann den Kopf anleh­nen. Gera­de­aus nach vorne ist die Bühne. Frü­her saßen wir immer oben irgendwo. Das ist zu kurz an den Knien und ohne Anleh­nen am Kopf. Die Bühne zudem schräg rechts oder links. Am Ende immer schreck­li­che Kopf­schmer­zen vor lau­ter Ver­span­nung. Und der Hitze wegen. Sie haben diese Oper gerade erst über ein gan­zes Jahr reno­viert, aber die Kli­ma­an­lage ver­ges­sen oder weg­ge­las­sen. Bestimmt gab es für das Weg­las­sen der Kli­ma­an­lage eine Öko-Pla­kette. Oben auf den bil­li­gen Plät­zen sam­melt sich die Hitze. Und die Aus­düns­tun­gen der Herr­schaf­ten unten auf den teu­ren Par­kett­plät­zen. Oben muß man auch immer gucken. Zumin­dest auf die­sen seit­li­chen Plät­zen kann man nicht mal kurz die Augen zuma­chen, weil man sich ja im Blick­win­kel eines Nach­barn befin­det. Macht einen schlech­ten Ein­druck, wenn man in der Oper däm­mert. Geht oben ohne­hin nur ganz schlecht, weil man den Kopf ja nicht anleh­nen kann.

Das alles ist unten bes­ser. Par­kett, I1 und I3, mit­ten­drin. Die Leh­nen ein biß­chen spe­ckig. Roter, spe­cki­ger Samt. Samti­mi­ta­tion ver­mut­lich, Poly­es­ter. Um einen herum nur Senio­ren. Weiß­haa­rig. Hun­derte, Tau­sende haben ihre wei­ßen Schöpfe schon an diese Leh­nen gelehnt. Nicht wirk­lich appe­tit­lich der Gedanke. Fin­det Herr Dasch­ner auch. Ein biß­chen so wie im D-Zug.

In der Pause ren­nen wir immer mit den Ers­ten aus dem Saal. Eine halbe Etage wei­ter oben gibt es einen Fest­saal mit einer Art Bar in einer Ecke. Mehr ein impro­vi­sier­ter Aus­schank mit sozia­lis­ti­schem Charme. Mini­ma­lis­tisch. Nur drei Bedie­nun­gen, die natür­lich in die­ser Vier­tel­stunde Pause hoff­nungs­los über­las­tet sind. Und in ihrer Über­for­de­rung sozia­lis­ti­schen Charme ver­sprü­hen. Mini­ma­lis­ti­schen Charme. Wenn man nicht zu den Ers­ten an die­sem Aus­schank gehört, hat man sei­nen Sekt erst, wenn die Pause schon fast wie­der zu Ende ist. Die Senio­ren drän­gen sich mit har­ten Ellen­bo­gen wie die Schweine am Trog. Es gibt Was­ser mit und ohne Koh­len­säure, diverse Frucht­säfte, ein paar Sor­ten Zucker­brau­se­lö­sun­gen und Cham­pa­gner. Fünf Euro fünf­zig die Schale Cham­pa­gner. Wir trin­ken jeder eine Schale.

Nach dem Sekt gehe ich fast immer auf Toi­lette. Nichts ist blö­der, wenn man unten, den Kopf schön ange­lehnt an etwas spe­cki­gen Leh­nen unter Sekt­ein­fluß die Augen einen Moment, einen Moment nur, zuma­chen möchte und dann erst merkt, daß die Blasé zu voll ist. Wenn es ganz schlimm kommt, kann man an gar nichts ande­res mehr den­ken als an seine volle Blasé. Man kann nicht mehr zuhö­ren, geschweige denn die Augen schlie­ßen und ein biß­chen weg­däm­mern. Des­we­gen immer schnell noch auf Toi­lette.

Die Tür zur Her­ren­toi­lette klemmt etwas beim Öff­nen. Wahr­schein­lich auch eine Folge der Reno­vie­rung. Der Mar­mor­bo­den ist etwas uneben gera­ten. Dafür schließt sie auto­ma­tisch und hef­tig, mit lau­tem Knall. Der Feder­me­cha­nis­mus der Tür stammt wahr­schein­lich aus dem Bau­markt und ist schlecht ein­ge­stellt. Gleich hin­ter der Tür der Vor­raum mit einer Wasch­be­cken­zeile in durch­ge­hen­der Stein­platte. Die Was­ser­hähne bil­lige Bau­markt­ware, Desi­gner­mo­del­len nach­emp­fun­den. Alle wackeln im Mar­morimi­tat. Offen­bar kamen auch die Instal­la­teure aus dem Bau­markt. Links der Wasch­be­cken­zeile ein Klo mit Tür und ein offe­ner Raum mit Piss­be­cken­zeile. Vier Stück davon, etwas zu dicht neben­ein­an­der. Man kann dem Her­ren nebenan auf den Pim­mel gucken. Mich hemmt das, wenn mir jemand beim Pin­keln zuguckt. Allein die Idee schon, daß neben mir jemand gucken könnte, macht mir akute Pro­sta­ta­hy­per­tro­phie. Manch­mal wer­den zwei Her­ren, zumeist grau­haa­rig, neben mir fer­tig, bevor es bei mir zu tröp­feln beginnt. Ältere Her­ren haben es immer eilig. Oft packen sie ihren Pim­mel erst im Weg­dre­hen wie­der rich­tig ein. Neun­zig Pro­zent aller Toi­let­ten­be­su­cher waschen ihre Hände nicht. Und zer­ren mit unge­wa­sche­nen Hän­den am Tür­knauf. Ich wasche meine Hände immer. In der Oper am Desi­gne­ri­mi­tat. Mit Seife aus dem Spen­der. Ist sogar immer wel­che drin. Wäh­rend­des­sen ver­läßt der letzte Senior den Raum. Mit lau­tem Knall fällt die Tür zu.

In die­sem Moment, mit die­sem Knall, beginne ich diese Men­schen mit Wasch­zwang zu ver­ste­hen. Man kann die­sen Tür­knauf nicht anfas­sen. Da klebt Urin dran. Auch wenn die Her­ren den Trop­fen, der ihnen zwi­schen die Fin­ger gekom­men ist, schnell an ihrer Hose abge­wischt haben. Spu­ren ihrer Aus­schei­dun­gen kle­ben an die­sem Tür­knauf. Spu­ren Hun­der­ter von Tröpf­chen. Das kann ich nicht anfas­sen. Die Trop­fen sieht man natür­lich nicht. Aber ich weiß davon. Ich habe ja gerade erst den Mecha­nis­mus gese­hen. Aus nächs­ter Anschau­ung. Män­ner, die sich den letz­ten Trop­fen vom Pim­mel schüt­teln. Kol­la­te­ral­t­röpf­chen an den Fin­gern. Und jetzt zwangs­läu­fig am Tür­knauf. Weil sich kaum einer die Hände wäscht vor lau­ter Eile. Eine Tür, die klemmt und nach innen auf­geht. Ginge sie nach außen auf, zum Flur hin, könnte ich sie ja ein­fach mit dem Fuß auf­schie­ben. Ich kann das nicht anfas­sen! Wenn wenigs­tens auf dem Flur dahin­ter noch ein Wasch­be­cken wäre! Oder ich Ein­mal­hand­schuhe aus dem Kran­ken­haus dabei­hätte. Oder ein Tempo, irgend­was, womit ich die­sen Tür­knauf ohne Direkt­kon­takt anfas­sen könnte. An der Wasch­zeile gibt es – ganz öko­lo­gisch, das muß ein Uni­kat sein an der gesam­ten Côte d'Azur – keine Papier­hand­tuchs­pen­der, son­dern so einen Hand­tuch-Band­au­to­ma­ten. So ein Ding, aus dem man einen hal­ben Meter fri­sches Hand­tuch zieht und gleich­zei­tig der benutzte Teil des Ban­des unten in der Kiste ver­schwin­det. Nichts, was man mit­neh­men könnte, nichts, was als Schutz vor Urin­spu­ren geeig­net wäre. Ich kann nur auf einen wei­te­ren eili­gen Senio­ren hof­fen. Dicht an der Tür war­ten, rein­las­sen, Fuß in die Tür und mich ret­ten, bevor sie wie­der zuknallt.

Das nächste Mal werde ich eine Packung Tem­pos dabei­ha­ben. Zumin­dest eins. Um den Tür­knauf im Her­ren­klo anfas­sen zu kön­nen. Aber das nehme ich mir schon seit Jah­ren vor.

Ande­rer­seits gibt es eben die Aus­sa­gen von Herrn Dasch­ner bei der ZEIT. Da spricht er von der über­all und mas­sen­haft vor­han­de­nen Mikrobe, die eigent­lich nie krank­ma­chend ist. Nicht mal im ICE-Abteil und den zuge­schis­se­nen Zug­toi­let­ten. Nur in der offe­nen Wunde. Sagt Herr Dasch­ner. Ich sollte mich also nicht so anstel­len auf dem Opern­klo in Tou­lon. Völ­lig unge­fähr­lich. Und außer­dem völ­lig nor­mal das mit den Kol­la­te­ral­t­röpf­chen. Unge­fähr­lich sowieso. Aber auch nor­mal. Auf einem Kon­gress von Hygie­ni­kern haben sie eine Art wis­sen­schaft­li­che Erhe­bung durch­ge­führt, erzählt Herr Dasch­ner in sei­nem Inter­view. In den Toi­let­ten des Kon­gress-Zen­trums. Das Resul­tat: nicht ein­mal die Hälfte der Teil­neh­mer, Aka­de­mi­ker immer­hin und Spe­zia­lis­ten, was die Mikrobe betrifft, wäscht sich die Hände nach der Toi­let­ten­be­nut­zung. Alles nicht so schlimm also. Nor­mal gera­dezu.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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