Jeu de l'oie

10. August 2017 Von Alleinerzieher

Quoi? Was ist? -

Gérard ist sicht­lich genervt. Drau­ßen liegt die Tem­pe­ra­tur bei deut­lich über drei­ßig Grad, in mei­ner Wasch­kü­che ist es auch nicht küh­ler. Dazu tro­pi­sche Luft­feuch­tig­keit. Schweiß­trei­bend. Da hat ihm seine Frau am Tele­fon gerade noch gefehlt. Ich kenne das. Wenn mein Tele­fon den gan­zen Tag bis­her nicht geklin­gelt hat, muss ich mich unter die Dusche stel­len oder gerade ste­rile Hand­schuhe über­ge­streift haben um eine Péri­du­rale zu ste­chen. Klin­gelt bestimmt das Tele­fon. Ist nicht immer meine Frau.

Die müs­sen auf dem Küchen­tisch lie­gen. -

Gérard ist der erste vom Darty-Kun­den­dienst, der sich mit Namen vor­ge­stellt hat. Gérard vom Darty-Kun­den­dienst. Darty ist in Frank­reich sowas wie Saturn oder Media­markt in Deutsch­land. Vor einer hal­ben Stunde war Gérard noch vol­ler Zuver­sicht. Beim Kun­den vor­fah­ren, Maschine auf­schrau­ben, Teil aus­wech­seln, kurz tes­ten, alles funk­tio­niert wie­der, zufrie­de­ner Kunde. Papier­kram. Zehn Minu­ten grand maxi­mum. Und dann das: E:58 und E:67. Sein Teil ist das fal­sche. Er ist über­zeugt, der Kol­lege irrt. Aber nun, wo er schon mal hier ist.

Na da, wo ich sie immer hin­lege, neben der Obst­schale. Ich lege die Schlüs­sel immer neben die Obst­schale, weißt du doch! -

Drei Wochen frü­her. 14. Juli. Fei­er­tag in Frank­reich. Natio­nal­fei­er­tag. 2017 ein Frei­tag. Meine Frau ist im Haus­halt tätig. Wischen, put­zen, räu­men. Ich mache wahr­schein­lich mal wie­der nichts. Kann ich beson­ders gut, sagt meine Frau. Nichts machen, meint sie, kann ich beson­ders gut. Sagt sie immer dann, wenn sie mal was macht im Haus­halt. Kannst du mal die Wasch­ma­schine repa­rie­ren. Die geht nicht mehr auf. Maschi­nen gehen immer vor dem Wochen­ende kaputt.

Die müs­sen da sein, schau' doch noch mal rich­tig! -

E:58. Die Wasch­ma­schine ist fast fer­tig gewor­den mit einem Wasch­gang. Ein gel­bes Licht blinkt, das Fens­ter zur Wäsche lässt sich nicht öff­nen. Aus- und Ein­schal­ten hilft manch­mal. Dies­mal nicht. Ton­si­gnal, gelbe Leuchte, E:58. 58 sagt mir was, das war, glaube ich, schon mal. Oder war es die Spül­ma­schine? Oder was ganz Ande­res? Bestimmt hat ein Lego­teil die Pumpe blo­ckiert. Oder ein Ein-Cent-Stück. Ich habe auch schon Zahn­sto­cher in den Flü­geln der Pumpe ver­klemmt gefun­den. Man kann sich kaum vor­stel­len, wie ein Zahn­sto­cher dahin­kommt. Aber, mich kann nichts mehr über­ra­schen an der Pumpe. Kenne ich. Das gibt immer sol­che Feh­ler­mel­dun­gen, irgend­was mit E. Ich habe schon, frü­her mal, Kun­den­dienst kom­men las­sen, 78 Euro plus Mehr­wert­steuer für Anfahrt und die erste halbe Stunde, 39 Euro jede wei­tere halbe Stunde. Da wusste ich noch nicht, dass eine Pumpe ver­klem­men kann. Haben Sie schon mal an der Pumpe nach­ge­se­hen? Wel­che Pumpe? Macht 78 Euro plus Mehr­wert­steuer. Nicht ver­han­del­bar. Keine fünf Minu­ten spä­ter war der Kun­den­dienst wie­der weg. Haar­spange der Toch­ter. Drei Minu­ten alleine für den Papier­kram. Lehr­geld. Pas­siert mir nicht wie­der. An der Pumpe liegt es dies­mal nicht. Kla­rer Fall für den Kun­den­dienst.

Ich habe keine Ahnung, wo sie sonst sein kön­nen. Ich bin nach Hause gekom­men und habe sie auf den Tisch gelegt. So wie immer. Ganz sicher. -

Der tele­fo­ni­sche Kun­den­dienst von Darty funk­tio­niert auch an Fei­er­ta­gen. Ein biss­chen ver­zö­gert zwar, knappe Vier­tel­stunde War­te­schleife, aber immer­hin.

Mon­tag schon wird ein Tech­ni­ker kom­men. Nach­mit­tags zwi­schen 12 und 17 Uhr. Wird sich der Sohn küm­mern müs­sen.

Ich habe jetzt eigent­lich keine Zeit, ich bin beim Kun­den. Frag' doch mal Mathieu, viel­leicht hat der sie genom­men, ce con­nard. -

Gérard ist mitt­ler­weile der dritte aus der Kun­den­dienst-Mann­schaft von Darty. Der erste kam tat­säch­lich schon am Mon­tag nach dem Frei­tags­fei­er­tag. Der Sohn war zuhause. Es muss ein kur­zer Auf­tritt gewe­sen sein. Blick­dia­gnose. E:58. Das kann nur das module de puis­sance sein, was auch immer das sein mag. Hatte er nicht dabei. Lei­der. Musste bestellt wer­den. Papier­kram drei Minu­ten. 89 Euro. Plus Mehr­wert­steuer. Ist mitt­ler­weile aller­dings ein Pau­schal­preis. Egal wie oft sie kom­men müs­sen. Immer­hin. Die Bestel­lung dau­ert zehn Tage. Neuer Ter­min am Sams­tag Nach­mit­tag in zehn Tagen. Zwi­schen 12 und 17 Uhr. Per Mail ein Ein­satz­be­richt. Oben das Motto, notre objec­tiv: vous satis­faire à 100%, unser Ziel: Ihre Zufrie­den­heit zu 100%.

Ça va, ça va, ich weiß, dass Mathieu kein con­nard ist, excuse-moi! Wie gesagt, ich arbeite! Ich weiß aber auch nicht, wo die Schlüs­sel sind! -

Sams­tag Nach­mit­tag, 17 Uhr. Gut zehn Tage spä­ter. Wir waschen unsere Wäsche eben solange im Wasch­sa­lon keine fünf Minu­ten ent­fernt. Der Tech­ni­ker, ein ande­rer als beim ers­ten Mal, hat noch, übers Dépar­te­ment ver­teilt, drei wei­tere Kun­den zufrie­den­zu­stel­len. Erwähnt er gleich zum Bon­jour. Die Logis­ti­ke­rin hat anschei­nend keine Ahnung von der Geo­gra­fie des Dépar­te­ments, sagt er, und Darty sei ohne­hin sowas von schlecht orga­ni­siert. Dass die über­haupt über­le­ben kön­nen, und das schon so lange! Er ist auch nicht ein­ver­stan­den mit der Blick­dia­gnose sei­nes Vor­gän­gers. E:58 wäre nor­ma­ler­weise der con­ver­tis­seur de fréquence. Oder beide, module de puis­sance und con­ver­tis­seur de fréquence. Hätte der Kol­lege ein­fach im Hand­buch nach­le­sen kön­nen. Aber viel­leicht kann der ja nicht lesen. Egal, sagt er, jetzt bin ich ja schon mal hier. Die­ser Herr weiß genau, wie man das anstellt mit der Kun­den­zu­frie­den­heit. Sein Bau­teil befin­det sich raf­fi­niert ver­steckt hin­ter der Vor­der­front. Ça, ils le savent très bien, ces boches, nous faire chier tout le temps. Über­setzt, im Ton abge­mil­dert: Das kön­nen sie, diese Deut­schen, uns das Leben schwer­ma­chen. Die Maschine ist von Sie­mens. Etwa zwan­zig Kabel mit zwan­zig ähn­li­chen Ste­ckern füh­ren zum module de puis­sance. Das module de puis­sance muss das Gehirn der Maschine sein. Wäre aber idio­ten­si­cher, sagt er. Jeder Ste­cker passt nur in einer bestimm­ten Buchse. Am Ende ist alles wie­der ver­steckt hin­ter der Vor­der­front, irgend­wie. Und dann: E:67. Ob er sich nicht doch getäuscht haben könnte mit einem der idio­ten­si­che­ren Ste­cker? Immer noch kaputt. Aber anders. Noch kaput­ter viel­leicht. Sagte ich doch gleich, meint der Tech­ni­ker irgend­wie tri­um­phie­rend. Das andere Teil hat er jedoch nicht dabei, lei­der. Der Kol­lege von letz­ter Woche hätte es übri­gens im Wagen gehabt, weiß seine Soft­ware. Der muss es wohl irgend­wie eilig gehabt haben. Neues Ren­dez­vous nächs­ten Frei­tag. Nach­mit­tags. Ob er selbst wie­der käme, kann er natür­lich nicht sagen. Meine Zufrie­den­heit als Kunde erfährt zuneh­mend Ein­schrän­kun­gen. Drei Sterne von fünf viel­leicht noch.

Also, dann kann ich dir auch nicht hel­fen. Bor­del à cul! -

Gérard ist am Rande sei­ner Ner­ven­kraft. Das Tele­fon zwi­schen lin­kes Ohr und die Schul­ter geklemmt, hat er die Rück­seite der Maschine auf­ge­schraubt, zwölf Schrau­ben, das Bau­teil aus­ge­tauscht und fest­ge­stellt, dass die Maschine immer noch nicht funk­tio­niert.

Ich muss jetzt auch auf­le­gen, ich bin immer noch beim Kun­den. Bis­ous. Küss­chen.

E:67. Unver­än­dert. Hätte schlim­mer kom­men kön­nen, E:79 oder so. Habe ich ja gleich gesagt. Wie­der die­ser Recht­ha­ber-Tri­umph, den sein Vor­gän­ger schon so gut konnte.

Den Mon­tag dar­auf holt Darty die Wasch­ma­schine ab. Auf meine Anre­gung hin. Ich könnte nicht jede Woche einen Nach­mit­tag frei krie­gen, um ihm oder sei­nen Kol­le­gen beim Bas­teln zuzu­se­hen. Neh­men Sie sie mit und brin­gen Sie sie wie­der, wenn sie funk­tio­niert. Gegen Gérards Beden­ken. Ganz schwie­rig, das ginge nur mit Geneh­mi­gung von höchs­ter Stelle, François Hol­lande sozu­sa­gen. Ging dann doch. Gérard hat den Zei­ten­wech­sel ver­schla­fen, François Hol­lande ist nicht mehr der Chef. Mit Emma­nuel Macron geht alles bes­ser. Meine Kun­den­zu­frie­den­heit ist nichts­des­to­trotz auf einem Tief­punkt ange­langt, ein Stern noch. Weni­ger geht nicht.

Ich erin­nere mich mitt­ler­weile, wo ich die 58 schon mal gese­hen habe. Im Gän­se­spiel. Auf Feld 58, ganz kurz vor dem Ziel, stirbt die Gans. Oder schläft ein. Der Spie­ler muss von vorne begin­nen. Deut­sche Tech­ni­ker haben einen dis­kre­ten Sinn für Humor. E:58 heißt weg mit der Maschine, die ist rich­tig kaputt, hol' dir 'né neue. Sowas kön­nen deut­sche Tech­ni­ker. Die Maschine erkennt den Erst­kon­takt mit der Steck­dose des Kun­den. Die Obso­le­s­zens ist auf genau sechs Jahre spä­ter pro­gram­miert, ganz sicher außer­halb jeg­li­cher Garan­tie­op­tio­nen. Da kön­nen Gérard und seine Kol­le­gen machen, was sie wol­len. Sagt ihnen aber kei­ner. Dis­krete deut­sche Tech­ni­ker eben.


© Bertram Diehl, 2017. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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