Ignoranz

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Ob ich schon wüßte, daß da, wo früher die Citroën-Werkstatt war, in der Nähe des Bahnhofs, daß da jetzt irgendwo eine Moschee sein müßte, natürlich nicht in den Räumlichkeiten der Garage selbst, sondern so ein bißchen versteckt dahinter wohl, sie wüßte ja nicht, was auf dem Gelände sonst noch so alles wäre. Sie senkt die Stimme, zu einem Flüstern fast, als ob sie mir ein Geheimnis anvertrauen würde, obwohl da niemand ist außer ihr, ihrem Mann und mir, auf meiner Terrasse. Als ob eine Moschee eine konspirative Einrichtung wäre.

Isabelle und Francis haben ein paar Bienenstöcke bei uns aufgestellt. Seit Jahren. Sie leben davon, haben achtzig Bienenstöcke über das ganze Département verteilt, bis in die Alpen, wahrscheinlich ein mühsames Tun. Zum Saisonende bringen sie ein Sortiment aus ihrer Produktion, “meinen” Anteil als Gegenleistung für die Überlassung der Standplätze für die Bienenstöcke. Zehn Sorten haben sie inzwischen. Unter anderem Lavendelhonig, den ich selbst ein bißchen zu süß finde, Miel des Alpes, Alpenhonig, Salbei- und Wiesenhonig. Miel de Provence natürlich auch. Das kaufen die Touristen so gerne. Auf meine Vermittlung konnten sie im Frühsommer ein paar Stöcke im Kastanienwald um Collobrières, einer lokalen Hochburg der Esskastanienindustrie, platzieren.

Sie hätte bislang nicht gewußt, daß es, sogar bei uns auf dem Dorf, zugegeben, ein großes Dorf, schon Moscheen gäbe, wäre sie nicht letzten Freitag zufällig an der ehemaligen Citroën-Werkstatt vorbeigekommen wäre. Das muß nach dem Gebet gewesen sein, der ganze Hof der Garage voll, bis auf den Bürgersteig, voll mit diesen Männern, bärtig, im Nachthemd, ja, sie sagte Nachthemd, chemise de nuit, in größeren und kleineren Gruppen. Richtig erschrocken wäre sie angesichts so vieler Männer, die da in aller Öffentlichkeit ihrem Glauben folgten, und das bei uns im Dorf! Soweit ist es schon gekommen. Der Gatte dazu, Francis, sonst ein Muster an Eloquenz in fachkundiger Auskunft zur Imkerei, hörte nur zu und wartete ab. Isabelle, versuchte ich sie zu unterbechen, ist doch nichts einzuwenden, wenn…, gar nicht so einfach, zu Wort zu kommen, Isabelle hatte sich in Fahrt geredet. Weil man sie, die Männer in ihren Nachthemden, den Kopfbedeckungen und den Bärten überhaupt nicht verstehen würde, wer weiß schon, was die da reden, wer weiß schon, was denen am Freitag erzählt wird. Man müßte das kontrollieren, überwachen, sonst könnte alles ja noch viel schlimmer kommen. Aber diese Regierung unter diesem Präsidenten wäre ja viel zu schwach, wohin soll das nur führen mit Frankreich, wenn die jetzt schon Moscheen haben dürften. – Isabelle, neuer Versuch in einer ihrer knappen Atempausen,  Gottesdienst in aller Öffentlichkeit ist doch in Ordnung, das ist also von der Gemeinde abgesegnet. Das wird schon seine Richtigkeit haben, wenn sogar Monsieur le Maire (politisch dem Gedankengut der Le-Pen-Dynastie nicht abgeneigt) das nicht verhindert hat… – Jaja, aber das wäre ja sicher nur die Spitze des Eisbergs. Woher will man denn wissen, was es da noch alles gibt außer Moscheen. Und wer weiß schon, was die da reden, wer weiß schon, was denen am Freitag erzählt wird.

Miel de châtaignier, Kastanienblütenhonig, ist mein eindeutiger Favorit, kräftiges Blütenaroma, durch den relativ geringen Glukoseanteil eher herb, leicht bitter. Erinnert geschmacklich an Hustensaft, sagen Ignoranten. Kastanienhonig mit ausgeprägtem Aroma ist schwer zu finden. Ist wunderbar im Tee, in heißer Zitrone, auf frischem Baguette mit Butter. Meine Frau macht Salatsoßen damit. Lässt sich aber auch einfach so löffeln wie Nutella. Francis’ und Isabelles Ernte Kastanienblütenhonig fiel wider Erwarten üppig aus. Fand großen Anklang auf den umliegenden Märkten. Mit viel Mühe konnte ich mir zwei Kartons à zwölf 500-Gramm-Gläsern reservieren. Das muß reichen bis nächstes Jahr. Freundschaftspreis. Ein Kaffee vielleicht? Non, merci, keinen Kaffee, wir haben gleich noch ein Rendezvous. Ein Glas Wasser vielleicht.

Man müßte das kontrollieren, überwachen, sonst könnte alles ja noch viel schlimmer kommen. Das werden ja von ganz alleine immer mehr. Und jetzt auch noch diese Flüchtlinge, man weiß ja gar nicht, wo die genau herkommen und wer da so kommt. Und ob die wirklich alle in Gefahr wären, wagte sie zu bezweifeln, die meisten wollten wohl doch nur vom französischen Sozialsystem profitieren, wenn die mit vier, sechs oder mehr Kindern kämen. Kommen zu uns, essen unser Brot. Und zum Dank dafür bringen sie uns auch noch um. Francis, der Imker, versuchte nun auch, den Redeschwall seiner Frau zu unterbrechen, so schlimm wäre es ja nun auch nicht, nicht mal Frankreich ging es so schlecht, daß wir nicht zurechtkommen könnten mit den paar Flüchtlingen. In Deutschland, Francis spielt mir gegenüber gerne auf Deutschland an, mit Angela Merköhl, würden sie ja mit weitaus mehr Flüchtlingen zurechtkommen. Und außerdem müßten sie jetzt mal los zu ihrem Rendevous – Jaja, on y va, aber die Deutschen würden schon noch sehen, was sie davon hätten. Noch ginge es ihnen, den Deutschen also, ja viel besser als uns, aber mit diesen ganzen Migranten würde sich das nicht mehr lange halten. Wer soll denn das bezahlen? Und die wüßten ja auch nicht, Angela Merköhl und ihre Regierung wüßte ja auch nicht, wen sie da alles ins Land ließen. Und was denen so erzählt wird in den Moscheen. Und was die überhaupt untereinander reden. Versteht ja keiner. Natürlich gäbe es da vermutlich schwarze Schafe, gelang mir einzuwerfen, und Francis nickte dazu, aber wohl auch nicht mehr als in der normalen Bevölkerung. Natürlich gäbe es da ein Risiko, aber Menschen in Not müßte man doch helfen, es wären ja auch Kinder dabei. Die könnte man ja nicht alle im Mittelmeer absaufen lassen. –  Ja, genau, Kinder, das ist auch so ein Problem, einer kommt, man wüßte gar nicht genau woher und warum und wenn er erstmal hier ist, kommt die ganze Sippschaft nach. Und keiner von denen arbeitet. Alles auf unsere Kosten. Die meisten wären ohnehin keine Flüchtlinge, die aus Marokko und Algerien wären ja nicht im Krieg, die wollen es nur einfach besser haben. – Genau, Isabelle, so wie ich auch, ich wollte es auch nur einfach besser haben, ich bin auch nur wegen der Arbeit hier und der Sonne.

Und des Miel de châtaignier wegen.


© Bertram Diehl, 2016. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

bertram@diehl.fr


Für Aila, November-Ausgabe des Riviera-Magazins, gekürzt auf 4.580 Zeichen:

Ob ich schon wüßte, daß in der Nähe des Bahnhofs jetzt irgendwo eine Moschee sein müßte, wohl irgendwo auf dem Gelände der ehemaligen Citroën-Werkstatt. Sie senkt die Stimme, zu einem Flüstern fast, als ob sie mir ein Geheimnis anvertrauen würde, obwohl da niemand ist außer ihr, ihrem Mann und mir, auf meiner Terrasse. Als ob eine Moschee eine konspirative Einrichtung wäre.

Isabelle und Francis haben ein paar Bienenstöcke bei uns aufgestellt. Seit Jahren. Zum Saisonende bringen sie ein Sortiment aus ihrer Produktion, als Gegenleistung für die Standplätze. Zehn Sorten haben sie inzwischen. Natürlich auch Miel de Provence. Das kaufen die Touristen so gerne. Auf meine Vermittlung konnten sie im Frühsommer ein paar Stöcke bei Collobrières platzieren, einer lokalen Hochburg der Maronenindustrie.

Sie hätte bislang nicht gewußt, daß es sogar bei uns schon Moscheen gäbe, wäre sie nicht letzten Freitag zufällig da vorbeigekommen. Das muß nach dem Gebet gewesen sein, der ganze Hof der Werkstatt voll, bis auf den Bürgersteig, voll mit diesen Männern, bärtig, im Nachthemd, ja, sie sagte Nachthemd, chemise de nuit, in Gruppen. Richtig erschrocken wäre sie angesichts so vieler Männer, die da in aller Öffentlichkeit ihrem Glauben folgten, und das bei uns im Dorf! Soweit ist es schon gekommen. Der Gatte dazu, Francis, sonst ein Muster an Eloquenz in fachkundiger Auskunft zur Imkerei, hörte schweigend zu. Isabelle, versuchte ich sie zu unterbechen, ist doch nichts einzuwenden, wenn…, vergeblich, Isabelle hatte sich in Fahrt geredet. Weil man die Männer in Nachthemden, mit Kopfbedeckungen und Bärten überhaupt nicht verstünde, wer weiß schon, was die da reden und was denen am Freitag erzählt wird. Man müßte das kontrollieren, überwachen, sonst könnte alles ja noch viel schlimmer kommen. Aber diese Regierung unter diesem Präsidenten wäre ja viel zu schwach, wohin soll das nur führen mit Frankreich, wenn die jetzt schon Moscheen haben dürften! – Isabelle, neuer Versuch meinerseits, das ist doch wohl von der Gemeinde abgesegnet. Das wird schon seine Richtigkeit haben, wenn sogar Monsieur le Maire (politisch dem Gedankengut der Le-Pen-Dynastie nahe) das nicht verhindert hat. – Jaja, aber das wäre ja sicher nur die Spitze des Eisbergs.

Miel de châtaignier, Kastanienblütenhonig, ist mein eindeutiger Favorit, kräftiges Blütenaroma, durch den relativ geringen Glukoseanteil eher herb, leicht bitter. Erinnert geschmacklich an Hustensaft, sagen Ignoranten. Mit seinem ausgeprägtem Aroma ist Kastanienblütenhonig wunderbar im Tee, in heißer Zitrone, auf frischem Baguette mit Butter. Meine Frau macht Salatsoßen damit. Lässt sich aber auch einfach so löffeln wie Nutella.

Man müßte das kontrollieren, überwachen, sonst könnte alles ja noch viel schlimmer kommen. Und jetzt auch noch diese Flüchtlinge, man weiß ja gar nicht genau, wo die herkommen und wer das ist. Und ob die wirklich alle in Gefahr wären, bliebe zu bezweifeln, die meisten wollten wohl doch nur vom französischen Sozialsystem profitieren, wenn die mit vier, sechs oder mehr Kindern kämen. Kommen zu uns, essen unser Brot. Und zum Dank dafür bringen sie uns auch noch um. Francis, der Imker, versuchte nun auch, den Redeschwall seiner Frau zu unterbrechen, so schlimm wäre es ja nun auch nicht, nicht mal Frankreich ginge es so schlecht, daß man nicht zurechtkäme mit den paar Flüchtlingen. In Deutschland, Francis spielt mir gegenüber gerne auf Deutschland an, würden sie ja mit weitaus mehr zurechtkommen. Jaja, die würden schon noch sehen, was sie davon hätten. Noch ginge es denen ja viel besser als uns, aber das würde sich wohl nicht mehr lange halten. Wer soll denn das bezahlen? Angela Merköhl wüßte ja auch nicht, wen sie da alles ins Land ließe. Und was denen so erzählt wird in den Moscheen. Und was die überhaupt untereinander reden. Versteht ja keiner. Natürlich gäbe es da vermutlich schwarze Schafe, gelang mir einzuwerfen, und Francis nickte dazu, und natürlich gäbe es da ein Risiko, aber Menschen in Not müßte man doch helfen, es wären ja auch Kinder dabei. Die könnte man ja nicht alle im Mittelmeer absaufen lassen. – Ja, genau, Kinder, das ist auch so ein Problem, einer kommt und wenn er erstmal hier ist, kommt die ganze Sippschaft nach. Und keiner von denen arbeitet. Alles auf unsere Kosten. Die meisten wären ohnehin keine Flüchtlinge, viele wären ja nicht im Krieg, die wollen es nur einfach besser haben. – Genau, Isabelle, so wie ich auch, ich wollte es auch nur einfach besser haben, ich bin auch nur wegen der Arbeit hier und der Sonne.

Und des Miel de châtaignier wegen.

Und noch weiter gekürzt. Ohne Honig. 3.690 Zeichen. Fände ich schade.

Ob ich schon wüßte, daß in der Nähe des Bahnhofs jetzt irgendwo eine Moschee sein müßte, wohl irgendwo auf dem Gelände der ehemaligen Citroën-Werkstatt. Sie senkt die Stimme, zu einem Flüstern fast, als ob sie mir ein Geheimnis anvertrauen würde, obwohl da niemand ist außer ihr, ihrem Mann und mir, auf meiner Terrasse. Als ob eine Moschee eine konspirative Einrichtung wäre.

Sie hätte bislang nicht gewußt, daß es sogar bei uns schon Moscheen gäbe, wäre sie nicht letzten Freitag zufällig da vorbeigekommen. Das muß nach dem Gebet gewesen sein, der ganze Hof der Werkstatt voll, bis auf den Bürgersteig, voll mit diesen Männern, bärtig, im Nachthemd, ja, sie sagte Nachthemd, chemise de nuit, in Gruppen. Richtig erschrocken wäre sie angesichts so vieler Männer, die da in aller Öffentlichkeit ihrem Glauben folgten, und das bei uns im Dorf! Soweit ist es schon gekommen. Der Gatte dazu, Francis, sonst ein Muster an Eloquenz in fachkundiger Auskunft zur Imkerei, hörte schweigend zu. Isabelle, versuchte ich sie zu unterbechen, ist doch nichts einzuwenden, wenn…, vergeblich, Isabelle hatte sich in Fahrt geredet. Weil man die Männer in Nachthemden, mit Kopfbedeckungen und Bärten überhaupt nicht verstünde, wer weiß schon, was die da reden und was denen am Freitag erzählt wird. Man müßte das kontrollieren, überwachen, sonst könnte alles ja noch viel schlimmer kommen. Aber diese Regierung unter diesem Präsidenten wäre ja viel zu schwach, wohin soll das nur führen mit Frankreich, wenn die jetzt schon Moscheen haben dürften! – Isabelle, neuer Versuch meinerseits, das ist doch wohl von der Gemeinde abgesegnet. Das wird schon seine Richtigkeit haben, wenn sogar Monsieur le Maire (politisch dem Gedankengut der Le-Pen-Dynastie nahe) das nicht verhindert hat. – Jaja, aber das wäre ja sicher nur die Spitze des Eisbergs.

Man müßte das kontrollieren, überwachen, sonst könnte alles ja noch viel schlimmer kommen. Und jetzt auch noch diese Flüchtlinge, man weiß ja gar nicht genau, wo die herkommen und wer das ist. Und ob die wirklich alle in Gefahr wären, bliebe zu bezweifeln, die meisten wollten wohl doch nur vom französischen Sozialsystem profitieren, wenn die mit vier, sechs oder mehr Kindern kämen. Kommen zu uns, essen unser Brot. Und zum Dank dafür bringen sie uns auch noch um. Francis, der Imker, versuchte nun auch, den Redeschwall seiner Frau zu unterbrechen, so schlimm wäre es ja nun auch nicht, nicht mal Frankreich ginge es so schlecht, daß man nicht zurechtkäme mit den paar Flüchtlingen. In Deutschland, Francis spielt mir gegenüber gerne auf Deutschland an, würden sie ja mit weitaus mehr zurechtkommen. Jaja, die würden schon noch sehen, was sie davon hätten. Noch ginge es denen ja viel besser als uns, aber das würde sich wohl nicht mehr lange halten. Wer soll denn das bezahlen? Angela Merköhl wüßte ja auch nicht, wen sie da alles ins Land ließe. Und was denen so erzählt wird in den Moscheen. Und was die überhaupt untereinander reden. Versteht ja keiner. Natürlich gäbe es da vermutlich schwarze Schafe, gelang mir einzuwerfen, und Francis nickte dazu, und natürlich gäbe es da ein Risiko, aber Menschen in Not müßte man doch helfen, es wären ja auch Kinder dabei. Die könnte man ja nicht alle im Mittelmeer absaufen lassen. – Ja, genau, Kinder, das ist auch so ein Problem, einer kommt und wenn er erstmal hier ist, kommt die ganze Sippschaft nach. Und keiner von denen arbeitet. Alles auf unsere Kosten. Die meisten wären ohnehin keine Flüchtlinge, viele wären ja nicht im Krieg, die wollen es nur einfach besser haben. – Genau, Isabelle, so wie ich auch, ich wollte es auch nur einfach besser haben, ich bin auch nur wegen der Arbeit hier und der Sonne.