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Golfplatz

Zum Jahresende wollen sie unser Labor zumachen. Nein, sie wollen nicht, sie werden. Sie, die Direktion. Dabei ist das Labor außer dem Kiosk in der Eingangshalle meines Wissens die einzige Abteilung, die Gewinn abwirft. Bisher hat das Centre hospitalier für 2016 drei Millionen Verlust eingefahren. Drei Millionen Euro. Letztes und vorletztes Jahr waren es insgesamt jeweils fünf Millionen, sagen sie. Sie, die Direktion. Deswegen haben wir seither eine gemeinsame Direktion mit dem großen Krankenhaus quasi nebenan, in Toulon. Dort bringt das Labor im Gegensatz zu vielen anderen Abteilungen, unter anderem vermutlich dem Kiosk in der Eingangshalle, keinen Gewinn. Unser gemeinsamer Direktor ist vor allem der Direktor des großen Krankenhauses quasi nebenan. Das große ist seins. Um unser Krankenhaus kümmert er sich nur so nebenbei. Logisch, daß er vor allem an seins, das große, neue quasi nebenan denkt. Er hat die Zahlen sofort durchschaut. Für das Verständnis von Zahlen braucht es keinen medizinischen Sachverstand. Der Direktor glaubt, daß er sein Labor sanieren kann, wenn er sich unseres einverleibt. Andererseits möchte man denken, es bräuchte  keinen ausgeprägten medizinischen Sachverstand, um zu verstehen, daß ein Krankenhaus der Basisversorgung mit Geburtshilfe nicht mehr richtig funktionieren kann ohne eigenes Labor im Keller. Vor einem Jahr etwa hatten wir eine Réunion mit dem Direktor zu diesem Thema. Wir wiesen ihn darauf hin, daß ein Krankenhaus der Basisversorgung und insbesondere dessen Geburtshilfe ohne angeschlossenes Labor nicht mehr richtig funktionieren kann. Der Direktor hielt dagegen, daß er Spezialisten für sowas hätte und daß die Spezialisten einen Plan ausarbeiten würden, wie unser Krankenhaus auch ohne direkt angeschlossenes Labor im Keller funktionieren würde. Das Labor des großen, neuen Krankenhauses quasi nebenan hätte ausreichend Kapazitäten, die Versorgung unseres kleinen Krankenhauses samt seiner Geburtshilfe korrekt zu bedienen. Bedenken unsererseits angesichts einer Entfernung von immerhin knapp fünfzehn Kilometern hohen Staupotentials zwischen den beiden Häusern ließ er nicht gelten. Der Direktor betonte, er hätte Spezialisten für sowas. Diese wären in der Lage, einen Plan auszuarbeiten, der allen Eventualitäten Rechnung tragen würde. Wie kann man bloß so blauäugig sein! Hat er die Staus zu jeder Tageszeit noch nie aus eigener Anschauung erlebt? Wenn der Tunnel Richtung Marseille gesperrt ist, geht im Umkreis von zehn Kilometern gar nichts mehr. Stau in den kleinsten Nebenstrecken. Nicht einmal durch unser Argument der gefährdeten Patientensicherheit ließ sich der Direktor aus der Ruhe bringen. Weil Krankenhausdirektoren meist nur über sehr wenig medizinischen Sachverstand verfügen, zucken sie normalerweise ein bißchen, wenn man die Patientensicherheit ins Spiel bringt. Davor haben sie Angst. Sie haben Angst vor dem Unfall am Patienten und vor allem vor der nachweisbaren Mitschuld am Unfall. Der Direktor aus dem großen Krankenhaus quasi nebenan winkte routiniert ab. Schließlich hätte er Spezialisten für sowas.

Böse Zungen behaupten, im allgemeinen wäre die Schließung des Labors nur der erste Schritt zur Schließung eines Krankenhauses im Ganzen.

Letzten Sonntag hatte ich Dienst. Und mußte feststellen, daß sie schon mal unsere Blutbank als Teil des Labors zugemacht hatten. Sie, die Direktion. Vermutlich auf Empfehlung der Spezialisten. Das Labor funktioniert noch so wie sonst, nur eben ohne Blutbank. Stattdessen haben wir jetzt einen Kühlschrank mit Null-Negativ-Konserven, fünf Stück, für den vitalen Notfall. Und ein paar Tüten Frischplasma. Keine Blutbank. Keine Möglichkeit, Patienten innerhalb von dreißig Minuten ihrer Blutgruppenkonstellation entsprechendes Blut zu verabreichen. Außer eben was von den Null-Negativ-Konserven. Das geht immer. Leider hatten die Spezialisten versäumt, den Direktor daraufhinzuweisen, daß das medizinisch relevante Personal von diesem Umstand in Kenntnis gesetzt werden sollte. Rechtzeitig. Per Mail, Rundbrief, Besprechung zum Beispiel. Niemand hatte letzten Sonntag gewußt, daß es schon soweit sei. Daß das Labor ganz zumachen würde zum Jahresende und man jetzt schon mal anfangen würde mit der Blutbank. Oder die, die unterrichtet waren, haben denen, die damit arbeiten müssen, nichts davon gesagt. Das entspricht mediterraner  Kommunikations-Strategie. Es wird viel geredet, aber kein relevanter Inhalt kommuniziert. Immerhin fanden sich schließlich einige Exemplare einer procédure, einer Dienstanweisung. Lieblos redigiert, immerhin mit ein paar Telefon- und Faxnummern im Labor des großen Krankenhauses quasi nebenan. Am Telefon mit der Blutbank des großen Krankenhauses nebenan kristallisierten sich interessante Details heraus. Für den lebensbedrohlichen Transfusions-Notfall gibt es beim Krankenhaus angestellte Fahrer im Bereitschaftsdienst. Die warten bei sich zuhause auf den Einsatz. Das Zuhause des Fahrers darf dreißig Minuten vom großen Krankenhaus nebenan entfernt sein. Dreißig Minuten! Unser Notfallfahrer am Sonntag hat sein Zuhause in Hyères. Sonntags kommt es höchstens während der Schulferien mal zu Staus. Oder wenn mal wieder eine achtlos weggeworfene Kippe den Mittelstreifen in Brand gesetzt hat. Was aber sicher zu den Eventualitäten gehört, welchen die Weisheit der Spezialisten Rechnung trägt.

Außer dem Notfallfahrer des Krankenhauses gibt es einen privatwirtschaftlichen Fahrdienst, der alle medizinischen Strukturen ohne eigenes Labor im Großraum versorgt. Der fährt seine Runde vier oder fünf Mal pro Tag. Natürlich nur zwischen 7 und 17 Uhr. Bestimmt äußerst lukrativ. Werktags. Wer arbeitet schon freiwillig nachts und am Wochenende. Außerhalb dieser Zeiten wird jeder Einsatz zum Notfall für den Krankenhausfahrer.

Böse Zungen behaupten, der Chef des privatwirtschaftlichen Fahrdienstes und der Direktor der Krankenhäuser würden regelmäßig gemeinsam auf dem 18-Loch-Parcours des Golfplatzes bei mir im Dorf angetroffen werden.


© Bertram Diehl, 2016. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

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