Das Blaue vom Himmel (2)

Thomas Zahn, der Leiter von Vertrieb und Marketing bei Volkswagen Deutschland, bringt sein tiefstes Bedauern zum Ausdruck. Klar, er hat mein Vertrauen enttäuscht und ist sich dessen bewußt. Mit meinem Siebensitzer, made in Germany, wollte ich einen Schlußstrich ziehen unter eine Serie unerquicklicher Abenteuer mit Produkten der einheimischen Automobilindustrie. Und nun das! Mein Neuwagen von Volkswagen ist eine Mogelpackung! Eine von acht Millionen in Europa alleine. Die Aussage auf der Seite bei VW ist eindeutig: Der in meinem Fahrzeug “eingebaute Dieselmotor vom Typ EA189 ist von einer Software betroffen, die Stickoxidwerte (NOx) im Prüfstandlauf (NEFZ) optimiert.” Betroffen! Der Motor ist betroffen. Soll ein bißchen wie ein Krankheitsfall klingen. Zufall, Pech. Kann ja mal passieren. Aber, zum Glück, und da soll ich wohl wirklich beruhigt sein, Volkswagen wird alles tun, um mein “Vertrauen vollständig wiederzugewinnen”, “mit Hochdruck” wird an einer Lösung gearbeitet. In meinen Ohren klingt das wie die Worte von Manu, dem Autohändler. Der Turbolader im Renault war nach vier Tagen kaputt, aber – “ne vous inquiétez pas!” – ich solle mich nicht beunruhigen. Thomas Zahns “Hochdruck” entspricht von der Intention her womöglich Manus “ne vous inquiétez pas!” – Beschwichtigung um jeden Preis. Das Blaue vom Himmel. Fünf Wochen dauerte die Reparatur bei Manu. Florian H., der mir in VW-Niederlassung das Auto verkauft hat, ist zur Zeit nicht ansprechbar. Aber was sollte der mir auch Neues erzählen?

Ganz früher, kurz nach dem Abitur, war ich stolzer Besitzer eines “Bulli” von Volkswagen. T2. Baujahr 1973, glaube ich, 50 PS für eine gute Tonne Auto. Stickoxide gab es damals noch nicht. Ziemlich morsch, Rost überall, die Heizung ließ sich nicht ausschalten. Die Heckklappe samt Anti-Atomkraft-Sonne war ölverschmiert, weil wohl irgendwas im Ölkreislauf undicht war. Ich verwendete meinen Bulli als spartanisch eingerichtetes Wohnmobil. Und war damit in Südfrankreich unterwegs. Alle zweihundert Kilometer mußte ich einen Liter Öl nachschütten. Autobahnen konnte ich mir nicht leisten. War aber egal, mein T2 schaffte ohnehin nicht mehr als 108 Stundenkilometer. Steigungen, auch kleine, konnte er am besten im zweiten Gang. Aber auch das war egal, im Lubéron und in der Camargue und auf dem Weg dahin war ganz klar der Weg das Ziel. Das muß 1982 gewesen sein. Frühsommer.

Auf Seite 2 der regionalen Tageszeitung findet sich ein Bericht über den aktuellen Abgasskandal bei Volkswagen und mögliche Konsequenzen für die Kunden. Unter anderem kommen zwei Experten zu Wort. Die erläutern, daß der Motor in meinem Touran sehr wohl imstande wäre, die Vorgaben einzuhalten, allerdings auf Kosten der Leistung. Ein 150-PS-Motor würde dann vielleicht noch 110 bringen. Sagen die Experten. Mein Touran hat 105 PS. Das reicht gut für zielgerichtetes Fahren. Ohne Spielräume für sportliche BMW-Allüren. Schneller als 130 km/h darf ich in Frankreich sowieso nicht fahren. Nach Korrektur der Mogelsoftware zur Motorsteuerung würden von den 105 – Dreisatz – nur noch 77 übrigbleiben. PS. Das würde mich vom Fahrgefühl her nach 1982 – Frühsommer, Sonne, Südfrankreich – zurückversetzen. Der Weg als Ziel.

Entspricht nur leider nicht ganz meinen aktuellen Anforderungen an ein Fahrzeug. Im Rahmen meiner aktuellen Alltags-Anforderungen rückt das Ziel – Schule, Krankenhaus, Intermarché – eindeutig in den Vordergrund. Und der Weg soll nicht zum Problem werden.

Die entsprechende Seite bei Volkswagen Frankreich gibt sich übrigens deutlich trockener. Ehrlicher vielleicht. Herr Zahn tritt hier nicht Erscheinung. Auch nicht sein Pendant von Vertrieb und Marketing bei Volkswagen Frankreich. Von Bedauern und “Hochdruck” hier keine Rede. Mein Auto sei mit einem Motor EA189 ausgerüstet. Aha, wußte ich schon. Dieser wird sich Maßnahmen zur Korrektur des Stickoxid-Ausstoßes zu unterziehen haben. Maßnahmen! Keine weiteren Erläuterungen zu diesen Maßnahmen. Es folgen ein paar Felder zur Eingabe der persönlichen Daten. Man würde mich auf dem Laufenden halten. Baldmöglichst. Kein “Hochdruck”, wie gesagt, kein Bedauern. Immerhin, wie bei volkswagen.de, sinngemäß von Herrn Zahn abgeschrieben: “Wir versichern Ihnen jedoch, dass Ihr Fahrzeug technisch sicher und fahrbereit ist!” Immerhin. Dann wird ja alles gut.

Ne vous inquiétez pas!


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors.

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