Funkloch

22. September 2015 Von Alleinerzieher

Ich komme aus dem Dienst und fühle mich etwas ange­grif­fen. Und das, obwohl mich kei­ner gestört hat. Weder Chir­ur­gen noch Heb­am­men, weder Not­auf­nahme noch Inten­siv­sta­tion oder wer da sonst einen Grund fin­den könnte, mich um 01:54 Uhr oder 03:37 Uhr anzu­ru­fen. Nein, ich fühle mich ange­grif­fen, weil mein Bett unter mir zusam­men­ge­bro­chen ist! Zwei­mal. Gefühlt Heb­am­men- oder Chir­ur­gen­zeit. 01:54 Uhr oder 03:37 Uhr. Nein, so fett bin ich nicht! Ikea aus den frü­hen 90er Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts. Oder, schlim­mer noch, das fran­zö­si­sche Äqui­va­lent zu Ikea aus den frü­hen 90er Jah­ren des letz­ten Jahr­hun­derts. Da darf so ein Lat­ten­rost – Latte für Latte – schon mal nach­ge­ben. Warum aber gerade heute Nacht? Schlecht geschla­fen also. Die Kaf­fee­ma­schine im OP wird gerade ent­kalkt. Wie kann man auf die Idee kom­men, eine Kaf­fee­ma­schine zur Früh­stücks­zeit zum Ent­kal­ken außer Betrieb zu neh­men? Meine Ablö­sung auf der Inten­siv­sta­tion kommt eine gute Vier­tel­stunde ver­spä­tet. Tut ihr immer­hin leid, der Ablö­sung. Nach der Über­gabe riecht es im OP nach Kaf­fee. Zu spät. Ich muß weg. Ich habe mir ein straf­fes Pro­gramm gemacht für heute.

Zuhause Chaos. Offen­bar eili­ger Auf­bruch der Mit­be­woh­ner. Fest­be­leuch­tung im gan­zen Haus, ein Berg Schmutz­wä­sche vor der Wasch­ma­schine. Früh­stücks­rui­nen auf dem Küchen­tisch, die Spül­ma­schine nicht aus­ge­räumt. Für den Renault aus unse­rem Fuhr­park – der mit inzwi­schen repa­rier­tem Turbo – habe ich ein Date zur révi­sion. Der Schlüs­sel ist weg. Unauf­find­bar. Das fehlte mir noch! Meine Fami­lie nicht ansprech­bar. Meine Frau geht gerne ohne Tele­fon in den OP. Die Han­dys mei­ner Söhne sind ein­fach aus. Wahr­schein­lich sind die Bat­te­rien am Ende. Die Han­dys mei­ner Söhne müs­sen oft ohne Bat­te­rie­la­dung aus­kom­men. Oder ohne Funk­netz. Ich finde den Schlüs­sel schließ­lich in der Schmutz­wä­sche. In einer Hosen­ta­sche. Nach über zwan­zig Jah­ren Kin­der­auf­zucht bin ich ein geüb­ter Sucher! Manch­mal finde ich auch was.

Der Chef bei Renault nimmt mein désolé mit einem Nicken zur Kenn­tis und kom­men­tiert nur tro­cken c'est pas trop tôt. Genauere Erläu­te­run­gen zum Schlüs­sel in der Schmutz­wä­sche inter­es­sie­ren ihn ver­mut­lich genauso wenig wie der bers­tende Lat­ten­rost im Kran­ken­haus. Er wäre nicht sicher, ob der Wagen heute noch fer­tig würde. Egal.

Kurz nach zehn fällt mir auf, daß die Putz­fee ja noch gar nicht im Haus ist. Die Putz­fee kommt immer diens­tags. Seit drei Wochen heißt sie Élo­die. Pier­cing in der Unter­lippe rechts. Letzte Woche hatte sie einen Arzt­ter­min vor ihrem Ein­satz bei uns. Die Woche davor gab es, glaube ich, ein Pro­blem mit dem Hund. Ihr Ein­satz bei uns ist eigent­lich für vier Stun­den zwi­schen halb neun und halb eins vor­ge­se­hen. Viel­leicht kommt sie ja gar nicht heute. Käme mir sehr gele­gen.

Kaum denke ich das, kaum denke ich mir, wie schön das wäre, wenn die Putz­fee heute gar nicht käme, warum auch immer, Arzt, Hund, Auto mei­net­we­gen, geht die Tür. Élo­die. Heute ist ihr Rücken der Grund für die Ver­spä­tung. Le dos blo­qué. Sieht auch wirk­lich ange­grif­fen aus. Sie hatte eine Nacht wie in der Hölle. Hat kein Auge zuge­tan. Sagt sie. Wenn es so schlimm wäre, solle sie doch bes­ser zuhause blei­ben. Nein, nein, sagt sie, geht schon. Dann doch. Schade. Spä­ter kreischt sie oben irgendwo. Spinne? Skor­pion? Maus? Eine Putz­fee mit Arach­no­pho­bie? Nein, der Hams­ter war's. Der Hams­ter mei­ner Toch­ter hatte Élo­die ange­krab­belt. Der Käfig war offen geblie­ben. Mal wie­der. Ein Glück, das dies der Katze nicht auf­ge­fal­len war!

Ich werde ver­su­chen, ein Zeit­fens­ter für eine kleine Sieste zu fin­den. Am bes­ten drau­ßen. Außer Hör­weite von Élo­die. In der Sonne. Am bes­ten gleich. Und das Tele­fon im Funk­loch las­sen.


© Bertram Diehl 2015. Abdruck, auch aus­zugs­weise, nur mit aus­drück­li­cher Geneh­mi­gung des Autors.

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